Schlachten für Anfänger

„Platz da! Hier kommt ein ganzer Mann!“

Nach den 80ern und 90ern, die erst mit Rallye, dann mit Formel 1 – made by Schumi- , den Mann herausforderten, gefolgt vom Trend der Survival-Camps für verweichlichte Bürohengste, kommt nun etwas Neues. Erst risikofreudig, dann Überlebenstraining und schließlich killen. Der moderne Mann sucht sich halt immer eine neue Herausforderung. Herr sein über hunderte PS, über das eigene Schicksal oder optional jetzt über ein anderes Lebewesen. Nicht, dass das nicht schon immer Teil vom Leben und Job Einzelner gewesen wäre. Metzger, Todesstrafe-Vollstreckungsbeamte in Texas und Ärzte in der Notaufnahme arbeiten täglich mit dem Tod. Warum nicht auch ein Event daraus machen? Porkcamp heißt die neueste Freizeitidee, metzgern für jedermann! Falls Sie meinen das wäre geschmacklos, irren Sie sich vielleicht. Schließlich war es nicht erlaubt Fotos von der Tötung der Schweine zu machen: aus Respekt!

Schweine stehen in ihrer Intelligenz in Primatentest ihren affigen Testkollegen kaum etwas nach. Sie haben individuelle Charaktere und sind bekannt dafür, sehr sensibel für Stress zu sein. Da überzeugt das Verhalten des Schweins, dessen Kumpel in Sichtweite getötet wurde sicher: Es hat bestimmt nichts geahnt von seinem baldigen Tod. Schließlich schnüffelte „das zweite Schwein neben ihm weiter neugierig am Gatter“, während die arme Sau vor ihm schon mit dem Tod rang.

Während Schlachtfeste und Hausschlachtungen ursprünglich in einen festen Jahresablauf, oft analog zu Feiertagen, eingebettet waren, ist hier das Schlachten an sich der Anlass. „Respekt war eines der meistgebrauchten Worte an diesem Wochenende“, schreibt der Autor. Dies scheint mir als Leserin jedoch eher wie eine moralische Rechtfertigung. Wir stellen uns vor, eine Gruppe gestandener Männer stehen respektvoll und andächtig vor einer ausblutenden Sau. Sakralisierung von alltäglichen Momenten könnten wir dabei fast annehmen. Der Kampf um Leben und Tod, ein mystisches Moment. Da lohnt es sich dabei zu sein!

Nun denn, die Erfahrungen waren scheinbar so toll, dass sich Sebastian Dickhaut schon auf das nächste Camp freut. Bis dahin würde er seine Wurst wohl immer brav aufessen, wenn er sie denn essen könne. Schade nur, dass diese Wurst mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht von einem Schwein stammen wird, das „in aller Ruhe“, ohne Schreien und Trampeln nebenbei von einem Metzger „zu Boden gelegt“ wurde, sondern von einem der Zehntausenden anderen Schweine, die täglich am Fließband weniger behutsam in den Tod begleitet werden, um nicht das Wort „respektlos“ zu verwenden.

Die Campbesucher wollten erleben, dass Schlachten ein Ritual ist. Ja, das geht wahrscheinlich wirklich nur bei einer Hausschlachtung mit einer einstelligen Zahl Tiere, nicht beim Rundgang durch die Großschlachterei. Die visuelle Begleitung des Tötens freilich, hätte man(n) auch dort haben können. Dennoch: ein Camp anzustoßen um das Schlachten und Verarbeiten eines Tieres zum Erlebnis zu machen, zum Selbsterfahrungstripp und zur Versuchsküche von Pork Pie-Rezeptbesitzern zu degradieren, ist eine neue Stufe an geschmackloser Eventisierung unserer Freizeitgestaltung. Der Trend sei Essen-aus-nächster-Nähe. Nichts dagegen. Aber den Rahmen einer Plätzchenback-Party zu wählen, halte ich dann doch für daneben gegriffen. Ein gutes Gewissen lässt sich eben schwerer beim Besuch eines Großschlachtungsbetriebes erlangen, als in persönlicher Runde mit  zart in die Bewusslosigkeit geelektroschocktem Wurstrohmaterial. Und seien wir mal ehrlich: Sehen will sowas im großen Format doch keiner. Aber lecker Wurst machen – jammy! Was für ein Erlebnis!

Wir essen Tiere, aber wir töten sie nicht. Koch und Bestseller-Autor Sebastian Dickhaut störte dieser Gegensatz. Auf einem Porkcamp in Brandenburg hat er selbst geschlachtet und das Fleisch verarbeitet. Hier ist seine Reportage: Wir sind dann mal Schwein – ein Wochenende im Porkcamp.


2 responses to “Schlachten für Anfänger

  • Sebastian Dickhaut

    Hm. Es war schon ein bisschen mehr als eine Plätzchenbackparty und etwas weniger als ein Survival-Camp. Aber wenn mein Artikel das nicht erklärt, schaffe ich es hier auch nicht. Und kann dazu dem pointierten Schreiben durchaus folgen.

    Es war meine dritte Hausschlachtung, die ersten beiden liegen aber mehr als 20 Jahre zurück und mein Essen und Denken hat sich inzwischen weiterentwickelt – ich bin dort hin, um dieses Denken weiter auf den Punkt zu bringen und um zu beobachten, wie solche eine Gruppe mit dem Schlachten umgeht. Und es hatte was von Männlichkeitsritual für heutige Männer (es waren auch Frauen dabei, die es anpacken) und wie die Skala von erstmals euphorisch (eher bei den Nerds) bis abgebrüht begeistert (eher bei den Cracks) reichte, das war sehr interessant, aber nicht das Thema. Dass dafür einige Schweine „geopfert“ wurden – richtig.

    Tatsächlich bin ich inzwischen (das Camp liegt fast zwei Jahre zurück) zurückhaltender bei Fleisch geworden und interessierter am Veganismus, aber auch da eher noch als Beobachter. Und der Punkt mit dem Besuch eines normalen Schlachthofs zur Ergänzung ist ein guter – erst dann wird daraus eine runde Sache.

    Ich denke für mich darüber nach, wäre wohl aber im Rahmen dieses Camps schwer vermittelbar. An dem hat mich vor allem die Energie überzeugt, die es schon vorher freisetzte und die noch lange nachwirkte. Die durch das Töten von Tieren gespeist wurde, auch richtig.

    Dazu passt ein Tweet, den ich vor kurzem gefunden habe, der nur auf den ersten Blick wie eine zynischer Witz klingt. Er ging etwa so: „Eigentlich ist das Schlachten von Bio-Schweinen viel gemeiner – die haben nämlich gut und gerne gelebt.“ Auch was zum Weiterdenken.

  • Zettelwirtschaft

    Lieber Sebastian Dickhaut,
    danke für deinen Kommentar. Es ist schön, dass du dir die Mühe gemacht hast hier zu antworten. Natürlich war mein Text nicht als persönlicher Angriff gedacht, aber so hast du ihn denke ich auch nicht verstanden. 😉

    Viele Grüße
    Melanie

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