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Eingebildete Kranke?

Über die Pathologie einer Gesellschaft

Warum so auffällig viele junge Leute heutzutage mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, hat mich neulich eine Dozentin aus früheren Zeiten gefragt. Das ist eine gute Frage, der es nachzugehen lohnt.

Keine Konflikte in Sicht

Häufig ist zu hören, wir hätten ja sonst keine existentiellen Probleme, keinen Krieg, keinen Hunger, ein komfortables Leben, nur einfach zu viel Zeit uns Gedanken zu machen. Stimmt soweit. Bei dieser Ansicht fällt nur leider der Fakt hinten runter, dass ein psychisches Leiden an sich die existentielle Bedrohnung sein kann.  Diese Idee hatte schon mal jemand: Abraham Maslow erstellte dafür seine Bedürfnispyramide, bei der Selbstverwirklichung ziemlich spät erst bedeutend wird. Bei einem Blick darauf dürfte schnell deutlich werden, dass das so nicht stimmen kann. Es gibt beispielsweise Millionen Menschen, deren basale physiologische Bedürfnisse wie Hunger und Durst nicht gestillt sind, die aber dennoch ein Bedürfnis nach Transzendenz (zum Beispiel Kontakt mit Gott), nach persönlicher Anerkennung oder auch Sicherheit haben.

Bedürfnishierarchie nach Maslow (1970)

Bedürfnishierarchie nach Maslow (1970)

Zudem gibt es durchaus einen kumulativen Effekt bei psychischem Leiden. Auch wer zu seinen Lebzeiten keinen Krieg erlebt hat, bekommt die Folgen durch die Eltern oder Großeltern mit. Häufig ist zu hören, „die hätten das ja auch überlebt ohne Psychiater“. Haben sie. Die Frage ist nur, wie sie damit leben (müssen). Ihr verändertes Verhalten haben sie nicht nur über die Gene vererbt, sondern auch ganz praktisch an die Kinder und Enkel weiter gegeben. Diese kommen dann damit vielleicht nur auf eine andere Art und Weise zurecht als Eltern oder Großeltern. Sie tragen jedenfalls Kriegslasten, ohne je etwas mit einem Krieg zu tun gehabt zu haben. Dieser kumulative Effekt ist eine mögliche Erklärung für den (gefühlten) Anstieg psychischer Erkrankungen. Erklärt dieser Zusammenhang den Anstieg von Behandlungszahlen? Oder gibt es am Ende gar keinen tatsächlichen Anstieg, nur einen nominellen?

Ein Arzt und eine Gesellschaft von Klempnern

Ein weiterer Grund für die Zunahme ist die Aufmerksamkeit gegenüber der Psyche als wesentlichem Bestandteil menschlicher Gesundheit, die sich erhöht hat. Hausärzte reagieren heute sensibler auf das Thema seelischen Befindens, ziehen es in Betracht für etwaige körperliche Erkrankungen. Was im Kopf passiert ist nicht selten Auslöser für  somatische Erkrankungen. Früher hatte der Hausarzt noch mehr das Selbstverständnis von einem Klempner, der physische, fehlerhafte Stelle einfach mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu reparieren wusste. Heute wird öfter auf den psychotherapeutischen Kollegen verwiesen, als direkt an den Chirurgen, da sich die Sicht auf den Menschen in rein bio-physischer Hinsicht wesentlich erweitert hat.

Zum anderen ist das Bewusstsein für psychische Erkrankungen auch in der Gesellschaft gewachsen. Die Presse versuchte relativ ratlos nach Ereignissen wie dem Tod von Robert Enke oder dem Absturz der Germanwings-Maschine die Ursachen zu erklären, und das diffuse Erscheinungsbild einer psychischen Veränderung greifbar zu machen. Spätestens seit es der Begriff „Burnout“ als vorzeigbare Erklärung für nicht-physische Leiden gibt, sind nun psychische Probleme gesellschaftsfähig. Oder doch nicht? Denn, dass Burnout noch gar keine so klar definierten Diagnosekriterien hat und die Symptome auffallend ähnlich sind zu einer schweren Depression, das wird oft verschwiegen. Es gibt sie doch noch, diese eben nicht salonfähigen psychischen Probleme. Das sind so ziemlich alle anderen – außer Burnout, was ja einem Orden für außerordentlich aufopfernde Arbeitsmoral gleichkommt.

Steigende Behandlungszahlen: Mehr erkrankt oder mehr erkannt?

Es bleibt also die Frage, ob es tatsächlich mehr Menschen gibt, die an nichtkörperlichen Schmerzen leiden, als früher. Der Dorfpfarrer meiner Großmutter hat mal erwähnt, dass es das alles im Prinzip schon immer gegeben hat. „Nur früher nannte man es halt Schwermut“. Daraus resultierenden Verhaltensweisen wie soziale Kontaktscheue, Alkoholmissbrauch oder gar ein Suizid, wurden in allerseits anerkannter Dorfkultur einfach unter den Teppich gekehrt. Zumindest in der Familie verschwiegen, aber keinesfalls nach außen getragen. Geistliche dürften zu dieser Zeit wohl die einzigen gewesen sein, die tatsächlich solche Familiengeheimnisse zugetragen bekommen haben dürften.
Die ständig steigende Zahl von hilfsbedürftigen Menschen, die die Zunft der Psychotherapeuten regelrecht überrennen, könnte also auch daher rühren, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Kirchenvertreter geschwächt ist und in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren hat. Sind sozusagen Psychotherapeuten die besseren Seelsorger? Nicht von der Hand zu weisen ist, dass sie ein weltanschaulich unabhängiges Angebot an Sinndeutungen haben. Auch ohne Bußauflagen und Kirchensteuer wird hier eine individuelle Betreuung in Krisen angeboten. Es könnte also daraus abgeleitet werden, dass der Mensch an sich etwas sucht, das er nun bei den Kirchen nicht mehr findet, und sich deshalb in seiner ausgewachsenen Sinnkrise einer psychologisch ausgebildeten Person zuwendet.

Einige Studien arbeiten in unterschiedlichen Varianten immer wieder heraus, wie belastend es doch ist, in diesen Zeiten zu Leben. Der Druck auf der Arbeit steigt in unermessliche Höhe, unsichere Perspektiven in der Arbeitswelt und dem Privatleben verunsichern uns. Die ständige Erreichbarkeit über Smartphones und die beschleunigte Kommunikation über Email und soziale Netzwerke erzeugt in uns „Stress“. Stress ist in der Evolution eigentlich dazu gedacht gewesen, möglichst schnell körperliche passende Botenstoffe auszuschütten, die uns helfen aus akuten Gefahrensituationen zu fliehen. Der Löwe hat unsere Vorfahren dann irgendwann erwischt und gefressen oder sie sind entkommen. Stresssituation beendet. Heute allerdings haben wir diese unsichtbaren Bedrohungen permanent um uns herum. Sie lösen diffuse Empfindungen aus und daraus resultierend wohl auch vermehrt psychisches Leiden.

„Burnout“ ist eben einer jener Begriffe, die Zustände beschreiben, die offensichtlich einer genaueren Beschreibung bedürfen. Auch in der physischen Medizin gibt es immer mehr Krankheiten. Sie werden nicht erfunden, sondern benannt, nachdem sie erkannt und beschrieben werden konnten. So verhält es sich auch mit nicht physischen Erkrankungen. Sigmund Freud starb 1939. Er gilt als „Vater der Psychologie“. Es ist also noch nicht einmal hundert Jahre vorbei, in der wir uns mit diesem Teil der Medizin intensiver befassen. Es gibt jetzt einfach medizinische Fachbegriffe dafür, plötzlich von Herzrasen und einer Angst überfallen zu werden oder sich nicht mehr unter Menschen zu trauen. Natürlich geht damit auch das Risiko einer Pathologisierung einher. Der Korridor, der vorgibt was „normal“ ist und was „abweichend“, wird scheinbar immer schmaler. Somit wird auch die Grenze immer klarer. Es gibt weniger Menschen, die einfach als „etwas eigenartig“ oder „besonders“ beschrieben werden. Nur noch die mit Diagnose und die ohne, oder die mit psychologischer Behandlung und die ohne. Natürlich sagt das alles jedoch nichts aus über die tatsächliche psychische Verfassung unserer Gesellschaft. Die Mehrheit legt die Kriterien fest. Aber die Mehrheit kann auch irren.

Der Bumerangeffekt

Moderne Kommunikationswege haben auch dazu geführt, dass heute jeder eine Stimme haben kann, wenn er oder sie denn möchte. Ein Blog anlegen ist kinderleicht. Eine Seite auf Facebook zu verwalten, läuft ganz nebenbei. So können nun auch vermehrt Menschen zu Wort kommen, die betroffen sind. Abgesehen davon, dass dies das Risiko sozialer Ächtung bis hin zu beruflichen Nachteilen in sich trägt, können Betroffene untereinander nun in Kontakt treten und spezialisierte Organisationen Informationen und Hilfe bereit stellen. Die interessierte Mehrheitsgesellschaft, wenn sie denn interessiert ist, hat nun die Möglichkeit auch auf Beschreibungen aus erster Hand zuzugreifen. Darin liegt ein enormes Potential Akzeptanz zu fördern und soziale Ausgrenzung zu vermindern.
Zum anderen gibt es die Gefahr von Trittbrettfahrern. Schon Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ führte tausende Nachahmer in den Suizid. Ähnliches konnte und kann in den letzten Jahren um auto-aggressives Verhalten oder Essstörungen beobachtet werden. Die Jugendkultur „Emo“ lebte in ihren selbstdarstellenden Zügen vom Medium des Internets als Plattform und stellt ihre selbstschädigenden Handlungen (ritzen, schnibbeln, SVV) und Gedanken vor einer Webgemeinde dar.  Ähnlich verhält es sich mit den Bewegungen „Pro-Ana“ und „Pro-Mia“, deren Mitglieder sehr wohl zur Kenntnis nehmen, dass ihr Essverhalten medizinisch als ungesund eingestuft wird (Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa), kultivieren dieses doch weiterhin auf privaten Websites, Blogs und Foren.
Der Verdacht, ein psychisches Leiden wäre nur eine „Phase“ oder eine „Mode“ liegt nahe. Natürlich gibt es Menschen, die „mal einen schlechten Tag haben“ selbst als depressiv deklarieren. Das Tragikomische daran ist, dass das Münchhausen-Syndrom ( bezeichnet das Erfinden oder Hervorrufen körperlicher Erkrankung mit anschließender dramatischer Präsentation) für sich selbst genommen schon als psychische Störung verstanden wird.
Zum anderen gibt es tatsächlich Erkrankte, die sich in ihrer Krankheit und Opferrolle gut einrichtet haben. Self-handicapping kommt als Mittel der Dissonanzvermeidung allerdings auch bei fast allen Menschen ohne Diagnose vor. Natürlich liegt nahe, dass der oder die Vortäuschende eines ernsthaften psychischen Problems tatsächlich in der ein oder anderen Art und Weise ein ernsthaftes Problem hat. Die Grenzen werden durch feinere Diagnosekriterien und klarere Beschreibungen nur scheinbar klarer. Unterm Strich machen sie uns alle nur ein bisschen „kränker“, indem wir medizinische Begriffe finden, für Dinge, die uns umtreiben.

Es geht auch um Trittbrettfahrer, die die öffentliche Wahrnehmung von psychischen Erkrankungen erhöhen und manchmal auch verfälschen, indem sie sich selbst als „krank“ etikettieren.  Sobald jedoch ein tatsächlich Leiden verursachendes Element zum Accessoire für eine Subkultur wird, fördert das nicht gerade die so dringend notwendige Erkenntnis, dass es sich um eine die gesamte Gesellschaft betreffende Problematik handelt. Niemand ist dagegen gefeit. Nicht gegen körperliche und ebenso nicht gegen physische Erkrankung. Und hat es einen getroffen, ist es nicht mehr möglich, die Belastung abzulegen, wie ein modisches Kleidungsstück.

Am Ende bleibt trotz all dieser Überlegungen die Frage offen, ob die aktuelle junge Generation tatsächlich leidgeplagter von psychischen Problemen ist, als andere Generationen. Dafür wäre auch ein Blick auf wirtschaftliche Entwicklungen sinnvoll. Vielversprechend sind statistische Daten, zum Beispiel der Shell Studies, die behaupten Ziele und Emotionen ganzer Nationen zu erfassen.


Zuchtunternehmen: Das Tier als eierlegende Maschine – Wirtschaft – FAZ

Zuchtunternehmen: Das Tier als eierlegende Maschine – Wirtschaft – FAZ.

 

Ein sehr guter Artikel. Auch wenn es bei den Zahlen wohl zu einem Tippfehler bezüglich lebenslanger und jährlicher Milchleistung bei Kühen gekommen ist, stellt der Artikel doch eindrücklich dar, wie durch die Wortwahl Lebewesen abstrahiert werden zu Zahlen und Bezeichnungen.


Vegetarian evolution

 vom Gemüsebratling zur fleischlosen Ente

Food und Fleisch sind die Themen  die Menschen derzeit bewegen. Durch Lebensmittelskandale zum Hinhorchen gezwungen, kommen die meisten von uns nicht darum herum, sich Gedanken zur eigenen Position in diesem Ernährungskrieg zu machen. Globalisierungsgegner, Anti-Gentechnik-Bündnisse und vermeintliche Öko-Idealisten verteufeln Raubtier-Kapitalismus, Massenproduktion und ethikfreies Wirtschaften.

Jakob Jordaens, Satyr beim Bauern, 17. Jh.

Jakob Jordaens, Satyr beim Bauern, 17. Jh.

Früher war alles besser, so scheint es. Von Existenzangst gepackt springen landwirtschaftliche Vereinigungen und Unternehmensbündnisse auf den Zug auf: Regional, persönlich, nachhaltig sollen ihre Produkte und Produktionsweisen sein. Häufig leider zehren sie von einer Unterstützung aus der Bevölkerung, die mehr von Landromantik und sentimentaler Mensch-Natur-Nostalgie herrührt, als Kritik am großen Ganzen. Der Bauer agiert dabei als Kunde der Natur, kultiviert sie und ist abhängig von ihr. Freilich, lang lang ist’s her. Denn die negativen Begleiterscheinungen dieser frühren tatsächlichen Naturabhänigkeiten sollten wir froh sein überwunden zu haben. Hungersnöte durch Ernteausfälle, unerschwingliche Lebensmittelkosten durch rate Produktion und weiten Transport oder gar Erkrankungen durch verdorbene Nahrungsmittel sind Dinge, die heute in Deutschland keiner mehr fürchten muss. Dennoch: Der Bauer als Tierfreund, das Tier als Teil der Bauersfamilie, diese Bilder gefallen doch viel besser als die Vorstellung vom modernen Landwirt mit 300 Mastschweinen.

Das Tier – mein Freund

Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu einer bemerkenswerten Veränderung im als natürlich empfundenen Zusammenleben von Mensch und Tier. Die Städte wuchsen und die Menschen darin verloren allmählich den direkten Bezug zur Herstellung ihrer Nahrung außerhalb der Städte. Schlachthäuser wanderten in die Peripherie, verschwanden vor dem öffentlichen Auge. Was vormals seinen gerechtfertigten Platz in der städtischen Gesellschaft und Landschaft hatte, wurde nun zu etwas, von dem der Einzelne lieber nichts wissen wollte. Die Lebensreformbewegung mit ihren humanistischen Antworten auf die soziale Frage überquellender Städte und wachsender Armut, vertrat auch die Ansicht, Tiere hätten Rechte. Schließlich seien sie Lebeswesen. Diese Idee wird bis heute von der Mehrheit der vegetarisch lebenden Menschen als Beweggrund für ihre Lebensweise genannt.

Vegetarier essen kein Fleisch. So zumindest das weit verbreitetste Stereotyp im Volksmund. Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, die „wahren“ Vegetarier sind in der Minderheit. Neben seltsamen Zwischenkonstrukten wie dem Puddingvegetarier, der lieber zur Schokolade als zum Fleisch greift, dem Fischvegetarier, der Fisch mal just nicht als Fleisch definiert, bis zum Halbvegetariertum, dessen Anhänger ihren Fleischverzehr zugunsten eines höheren Anteils an Gemüse und Getreide einschränken, sind die Colorationen wirklich verwirrend. Eine besondere Gattung ist der „Alles was nicht aussieht wie Fleisch, ist kein Fleisch“-Vegetarier, der gerne zu Soßen, Suppen und Gummibärchen greift. Der eigentliche Sinn, keine Lebenmittel zu verzehren, die vom toten Tier stammen, ist in manch einem Fall schon zweimal um die Ecke gegangen.

Vegetarische Käsekrainer

Neuerdings gibt es Fleischalternativen auf dem vegetarischen Markt, die reißenden Absatz finden. Schließlich naht Weihnachten. Und tief in uns eingeschriebene kulturelle Muster verlangen ein festliches Essen, was aus mehr besteht, als einer Kohlsuppe. In Zeiten, in denen Fleisch etwas Selteneres war, hat der Festtagsbraten seine Wurzeln. Nun, die vegetarische Industrie hat abgeholfen. Ob Pilzbraten, Schweinefilet, Tiger Shrimps oder Entenbrust, das Angebot an fleischlosem Fleisch ist weit aufgefächert. Bleibt die Frage: Warum verzehren eingefleischte Vegetarier ein Nachahmprodukt dessen, was sie eigentlich ablehen? Schon die Namen der Produkte knüpfen bewusst an die Kenntnis und wohl auch das Verlangen nach klassischen Fleischerzeugnissen an. Wäre das nicht so, könnten die Shrimps doch einfach „rote Kringel“, die gefälschten Holzfäller Hacksteaks einfach „vegetarische Leibchen“ oder die Seitan-Hähnchen Nuggats schlicht „Weizenbröckchen“ heißen. Der ganze Markt wird umweht von einem Verdacht der Selbstkasteiung der Fleischverächter. Feste zubeißen will er scheinbar doch noch, der moderne Ersatzfleischvegetarier. Was für ein Befreiungsschlag kann eine knusprige Schnitzelkruste und ein herzhafter Biss wohl sein, zwischen so viel Verzicht. Immerhin ist die gefälschte Entenbrust einer Kommentatorin auf alles-vegetarisch.de „zwar schon ein bisschen gruselig, weil sie enorm echt“ aussieht. Andere finden es so schockierend echt, dass sie das Aussehen „eher eklig“ finden. Dennoch überschlagen sich im Internet die begeisterten Kommentare auch von gewöhnlichen Omnivoren.

Die Königsklasse ist allerdings der Käse ohne Käse. Also sozusagen Fake-Käse. Die Sinnhaftigkeit von Bemühungen Soja mit unter Umständen chemischen Zusätzen und Konservierungsstoffen in eine Masse mit Käsegeschmack und typischer Konsistenz zu verwandlen, sei an dieser Stelle in Frage gestellt. Es drängt sich die Vermutung auf, am Ende ginge es doch wieder nur um die geschmackliche Lustbefriedigung beim Essen ohne Verzichten zu müssen. Wo sich einige Fleischtäuscher mit ihren Ergebnissen durchaus gegenüber der Masse der Fleischesser brüsten können, müssen sich die Käsefälscher eher verstecken. Ich habe den bisher einzigen Versuch veganen Käse zu verkosten als gustatorischen Super-GAU in Erinnerung. Dennoch werde ich mich waghalsig einem weiteren Selbsttest unterziehen.

Der Test: Vegetarische Fleischkost

Sehr erfreut nahm ich heute ein Postpaket von alles-vegetarisch.de entgegen. Quer durch das umfangreiche Angebot des Onlineshops habe ich einige Testprodukte bestellt und möchte euch nach und nach daran Teil haben lassen, was ich damit angestellt habe. Der Höhepunkt der Bestellung ist die brühmt berüchtigte MOCK DUCK von Vantastic Food, VEGGIE KÄSEKRAINER und VEGGIE SCAMPIS. Außerdem habe ich nach umfangreichem Studium der Käsekommentare mich für fünf Käsesorten entschieden. Die Käseproduzenten waren mit ihrer Produktnamenwahl etwas kreativer als die Gemüsemetzger: Vegusto NO-MUH-CHÄS Dezent, Pural VEGI-CHEEZLY Mozarella Style, Vegourmet BIANCO, sowie die zwei Streichkäse Tofutti CREAMY SMOOTH Kräuter/Schnittlauch und Heirler WIE FRISCHKÄSE.

Hier ein Blick in meinen Karton:

Post von alles-vegetarisch.deLinks oben, die Ente, daneben die Shrimps. Vorne links und hinten rechts Käse. Dazwischen ein paar Leckereien ohne Milch.

Was ich daraus gemacht habe… ihr werdet’s erfahren 😉


Klonen kann sich lohnen

„Klonen kann sich lohnen“, singt Max Raabe frech. Außer für den Privatgebrauch, den der Sänger melodisch lobt, ist die Fortpflanzungsmethode auch richtig gewinnbringend. Für wen, ist allerdings noch die Frage.

Die Amerikaner sparen sich – wenn man so will – die mühevolle Tierzucht. Schließlich lässt sich Bullensperma viel leichter aus Europa importieren und das erzeugte Prachttier zur Weiterzucht dann einfach klonen. Zu deutscher Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit passt es gut, dass als passioniertes Hobby auch die systematische Optimierung von Genmaterial sehr beliebt ist. Planzen, Tiere, Fahrzeuge, Häuser … alles mögliche kann optimiert werden. Dabei bleibt die Mehrheit der Deutschen ethisch konservativ und lehnt klassisches Klonen im Lebensmittelbereich vorerst ab.

Davon profitieren die Amerikaner. Einen hervorragenden Genpool stellt ihnen Europa zur Verfügung, die Technologie macht ihn uramerikanisch. Denn kein Volk auf dieser Erde ist so klonbegeistert. Hobbyzücher und Haustierliebhaber lassen ihre Lieblinge bereits klonen. Deren geliebte Eigenarten lohnen sich scheinbar für die Nachwelt erhalten zu werden. Aber eigentlich in erster Linie für die Menschlein selbst. Dabei wird allerdings aus dem so besonderen Tier, dass einem/r ans Herz gewachsen ist, eine Duplette. Es handelt sich wohl um serielle Haustierliebe, die auch nicht weit von pathologischen Zügen entfernt zu sein scheint, oder zumindest heillose Überschätzung der menschlichen Stellung im Ökosytem offebart.

Es ist (noch) zu teuer allein für die Fleischproduktion Tiere zu klonen. Daher wird die Methode vorgeschaltet und das gute, gewinnbringende Erbmaterial von hochwertigen Zuchtbullen wird durch ihre Klon-Kopien weiterhin verkauft. Biologisch ist Klonfleisch ganz normales Fleisch. Warum sollte es also dafür eine Kennzeichnung geben? – dachten sich die Amis und machten allen anderen Nationen damit Probleme. Mit diesem Kniff mussten sich alle Staaten, die in Handelsbeziehungen mit Amerika standen und noch stehen, irgendwie mit dieser Position anfreunden. Zu vermeiden wären Klonnachkommen im eigenen Land nur, würde jeglicher Fleisch- oder Fleischerzeugnisimport aus den USA gestoppt. Das wäre ein ökonomischer Super-GAU. Die USA sind unter den Top-Drei Handelspartnern Deutschlands. Ziemlich asoziales Verhalten legt die Weltpolizei in diesem Punkt an den Tag. JedeR ist sich wohl doch der Nächste. Es ergibt sich die Frage: Wo fängt globale Solidarität an und fällt Beschneidung eigener (interner) Handlungsstrategien darunter?

Wie sollte Deutschland oder die EU andererseits eine Kennzeichnung verordnen, wo dies gar nicht möglich ist? Wo Fleisch drauf steht, ist laut US-Züchtern auch Fleisch drin. Mehr braucht es nicht. Eine Kennzeichnungspflicht in Europa würde die USA dazu zwingen ihre eigene Handhabung von (Nicht)Kenntlichmachung anzupassen um überhaupt eine Etikettierung möglich zu machen. Denn biochemisch untersucht werden kann die unterschiedliche Herkunft bezüglich Cloning nicht. Diese Unterscheidung von Fleisch in den USA wäre auch für die Amerikaner selbst ein politisches Statement. Und dieses passt sicher nicht mehr zu deren Lieblingsthese vom „ganz normalen“ Klonfleisch. Und auch nicht zum Image des wirtschaftlichen Global Leader.

Es bleib den EU-Ministern also ganz wirtschaftspraktisch gar nichts anders übrig, als die Kennzeichnung von Kopie-Fleisch abzulehnen. Es geht aber nicht nur um einen Mikro-Makro-Konflikt – nämlich globale Handelspolitik versus gesundheitliche Bedenken der Einzelnen – sondern auch um einen Ideologienkonflikt. Auf der einen Seite steht eine mechanistische Weltauffassuung, die Gene und Leben auf diesem Planeten methodisch erfasst und systematisch abändert. Ziel dabei ist auch die Optimierung und Effizienzsteigerung auf den Menschen bezogen, was oft mit Vorteilen für das Kollektiv begründet wird. Das ist Kulturoptimismus.

Auf der anderen Seite steht das ethische Individuum, dass diese Denke ablehnt. Vielleicht, weil sie die Nachfolger des Pantheismus sind oder als Teil von einer neuen „Green Religion“. Bei einigen kann man sicher von Kulturpessimisten sprechen. Diese Haltung ist wohl eine sichere Position. Sie schützt vor Enttäuschung jedoch nicht von Irrtum. Bei der Debatte der Kennzeichnungspflicht für Klonfleisch in Deutschland geht es also nicht nur im Verbraucher und Verbraucherministerium, sondern um Weltpolitik und nicht am Ende um die Frage wie sich die Völker auf globaler Ebene untereinander und zueinander verhalten sollen.

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Was ist eigentlich Nachhaltigkeit?

Einen kurzen Moment war ich begeistert und beeindruckt von der riesigen Werbeaktion von RWE die 2009 erstmals über meinen Bildschirm flimmerte. Gibt es da doch ein Umdenken? Hat der Wille zu einer Energiewende vielleicht endlich die Großen der Branche erreicht?  Spätestens seit RWE sich mit den anderen Stromgroßkonzernen 2010 öffentlich für die Verlängerung der Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke eingesetzt hat, kommen auch in den Letzten, die Vertrauen in die Ehrlichkeit und den Innovationswillen von Unternehmen hatten, Zweifel auf. Im Jahr zuvor noch hatte RWE von der Werbeagentur Jung von Matt die aufwendige Kampagne mit dem grünen Riesen kreieren lassen, die den alleinigen Erzeuger von jährlich 170.000.000 Tonnen CO² (20 Prozent des Gesamtausstoßes der BRD) als Wegweiser für erneuerbare Energien darstellte.

Die Assoziation des Unternehmens mit dem voRWEg trampelnden grünen Riesen ist gelungen. Die Rechnung für ein grünes Image, dennoch nicht aufgegangen.  Greenpeace antwortete auf den Spot mit bitterer Satire und realen Zahlen. So hat sich RWE mit seiner Aktion wohl eher in die Nessel gesetzt und den Verbraucher mehr misstrauisch als vertrauensvoll gestimmt.

In der Werbeindustrie gibt es eine Bezeichnung für diesen neuen Trend der Einzug in die Marketingabteilungen der Weltkonzerne gehalten hat: Green washing. Es stimmt, dass die Kernkraft zu ihrer Einführung eine Innovation besonderen Ausmaßes war. CO²-freie Energieerzeugung, saubere Luft, saubere Gewässer und so gut wie keine Belästigung für die Bevölkerung. Die Erzeugungsstätten unserer Energie wurden unsichtbar für die Mehrheit der Bevölkerung. Im Vergleich zu Kohlekraftwerken kann man Kernkraftwerke durchaus als nachhaltige Klimaschützer bezeichnen, allein die Atomgegner wollen das nicht so sehen. So haben es die Stromkonzerne nicht einfach gegen den Widerstand gegen die nicht risikofreie und auch endliche Energiequelle als nachhaltig wirtschaftende Unternehmen wahrgenommen zu werden.

So gut wie das Wort „Nachhaltigkeit“ zu Beginn des neuen Jahrtausends bei der Bevölkerung eingeschlagen hat, so sehr hat es seinen Inhalt verwässert. Ausgehöhlt und so ziemlich von jedem Unternehmen genutzt steht der Verbraucher wieder vor der Frage: Wer wirtschaftet wirklich „nachhaltig“ und wer kleidet seine eher halbherzigen Bemühungen nur in ein grünes Mäntelchen?

„Das Konzept der Nachhaltigkeit beschreibt die Nutzung eines regenerierbaren Systems in einer Weise, dass dieses System in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein Bestand auf natürliche Weise regeneriert werden kann.“ [Enquete-Kommission der Bundesregierung „Herausforderungen und Antworten“ 2002]

Mit dieser Definition als Basis ist RWE bereits ausgeschieden. Regenerierbarkeit ist weder bei Uran als Rohstoff – abgesehen von der Möglichkeit der Wiederaufbereitung – wie der Kohle nicht gegeben. Bedingung ist die Erhaltung des existierenden Systems, der Lebensgrundlage für uns und nachfolgende Generationen. Welches System die Bezugsebene darstellt ist freilich variabel und relevant. Für einen Kopf der italienischen Mafia wird es am besten für seine Nachkommen sein, das mafiöse System zu erhalten und die Position des Nachfolgers zu sichern. Der Mafiaboss denkt und agiert nachhaltig.
Zur Erhaltung unseres Wohlstandes in der ersten Welt ist es notwendig, dass uns billig zugearbeitet, billig produziert wird und ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen. Da eine gerechte Verteilung des weltweiten Einkommens zu einem Wohlfahrtsgewinn in Schwellenländern und der dritten Welt führen würde, würde unserer in Europa sinken. Kurz: wir müssten den Gürtel enger schnallen. Unter dem Prinzip der Nachhaltigkeit, in diesem Fall der nachhaltigen Erhaltung politischer Vormachtstellung des Westens zur Sicherung des Wohlstandes, ist das Agieren von amerikanisch kontrollierten Weltbank und protektionistischer EU die logische Konsequenz. Das von anderer Perspektive dies als ungerechte Unterdrückung, Erhaltung des Abhängigkeitsverhältnisses oder gar Neokolonialismus bezeichnet wird, ist ein andere Punkt. Ist das Bezugsystem eine lebenswerte Welt in der jeder Mensch die Menschenrechte uneingeschränkt zuerkannt bekommt, wird hier der Konflikt klar. Also was ist Nachhaltigkeit nun?

Klar ist in unseren Breitengraden, dass das Bezugsystem Ökologie und Soziales ist, oder: schütze die Umwelt, würdige die Menschen. Es hat hier nicht nur den Anschein, als wäre das bei den 68ern schon mal dagewesen. Warum fragen sich eigentlich so wenige Leute, warum das in Deutschland mittlerweile breite ökologische Bewusstsein in Frankreich kaum vorhanden ist? Noch weniger in Italien? Haben sich doch  diese Länder Europas ähnlich entwickelt, gegenseitig befruchtet und historisch – auf die ein oder andere Art und Weise – immer in engem Kontakt gestanden.

Deutschland hat eine Tradition als Konstruktionsstube globaler Technik. Das wird auch im Bereich der erneuerbaren Energien gefördert und gefordert. Ist nun dieses technische Denken, dass doch stark auf Effizienz ausgerichtet ist mit Nachhaltigkeit vereinbar? Eine lineare Denkweise ist eng verbunden mit einer Effizienzausrichtung. Wie löst man ein Problem am besten letztendlich in Luft auf?
Sieht man Zahlen der aktuelle weltweiten CO²-Produktion – vor allem der Industrienationen – im Vergleich zu den Werten, wie sie sein müssten, um die Folgen der Erderwärmung so gering wie möglich zu halten, kann man leicht von Hoffnungslosigkeit überwältigt werden. Der Verfahrenstechniker Prof. Dr. Michael Braungart meint: „Es ist nicht gut, weniger schlecht zu sein“ und kritisiert damit Zielrichtung von weniger Umweltbelastung des Menschen durch technische Neuerungen. Das käme der Vorstellung gleich nicht existent zu sein, dem Wunsch danach sich aufzulösen. Schließlich ist die Menschheit als Parasit des Planeten wahrgenommen. Es ist eine lineare Denkweise, wenn die EU Energie aus Müllverbrennung als erneuerbare Energie umetikettiert, denn das ist sie nicht. Plastik und andere Inhaltsstoffe sind für eine wiederholte Verwendung in einem Güterkreislauf unwiederbringlich verloren und es entsteht dabei hauptsächlich weitere Belastung für die Athmosphäre. Nachhaltig ist eine Bewertung von Gegenständen nach ihrem Nutzen. Es hat keinen Nutzen für den Menschen, wenn giftige Stoffe in Kleidung Allergien auslösen. Es hat keinen Vorteil, wenn Asbest in Autoreifen verboten ist, dafür aber ein anderer ähnlich schädlicher Inhaltsstoff zugesetzt wird. Die Bezugsebene muss von Effizienz auf Qualität verschoben werden.Schließlich ist nur giftfreies Plastik um uns herum die einzig gute Qualität.

Weniger ist nicht immer mehr. Das Ziel vieler Politiker scheint zu sein: Wie zügle ich die negativen Einflüsse auf unsere Umwelt und bremse dabei nicht die Wirtschaft aus. Ist Abstinenz der richtige Weg? Sicher ist, das dieses Verhalten nur über Ethik gesteuert werden könnte. Das dies ein mühsamer Ansatzpunkt ist, ist auch den meisten Altruisten klar. Vielleicht ist dies jedoch gar nicht nötig. Nachhaltiger als eine Selbstbeschränkung des Kaufverhaltens ist das gezielte Kaufen. Kauft der Kunde bei Firma xy, die sich zum Ziel gesetzt hat ihre Tintenpatronen zurückzunehmen und so weit wie möglich zu recyclen, ist dies nachhaltiger als das Unterstützen der Firma z, die lediglich für die Kosten der Sondermüllbeseitigung aufkommt (und schon das ist in manchen Branchen keine Selbstverständlichkeit).
Ziel ist eher ein zyklisches Denken, in dem der Mensch seinen Platz in einem natürlichen Kreislauf einnimmt. Nicht durch Ablehnung der Errungenschaften des technologischen Zeitalters, sondern indem der Mensch seine technischen Möglichkeiten zum Vorteil aller, sprich für die beste Qualität, einsetzt. Man denke an kompostierbare Verpackungstüten oder vollständig recyclebare Autos.

Nachhaltiges Handeln besteht also mehr als aus Mülltrennung und Bahn statt Auto. Nachhaltiges Handeln bedeutet anders denken. Nicht, wie kann der Mensch in dieser Welt leben ohne etwas zu verändern, ohne einen Faktor darzustellen, durch Verzicht und Verringerung des CO²-Fußabdrucks, sondern wie kann der Mensch in dieser Welt als Teil eines Systems leben und dieses als Kreislauf denken und erhalten.
Die Macht hat nicht die Politik, die mit ihren Alibisanktionen kaum etwas bewirkt und nicht die komplette Wirtschaftswelt mit Normen in Beton gießen kann. Leider nur zu oft verlässt sich der träge, obrigkeitsgläubige Deutsche auf den Staat. Der kann das Regeln, der Einzelne kann nichts ausrichten. Doch die Macht liegt beim Verbraucher, der entscheidet, ob er qualitative innovative Unternehmen unterstützt, oder sich nicht um das Gesamtbild kümmert. Eigentlich ist jedoch keiner von uns scharf darauf, seinen Kindern giftiges Spielzeug zu kaufen oder sich in schwermetallhaltige Kleidung zu kleiden.

Der Votrag von Prof. Dr. Braungart (Vortrag beginnt ab 4:50 Min)