Monatsarchiv: November 2015

Und erlöse und von der veganen Pest…

Es ist kaum noch zu ertragen! In jeder Zeitschrift auf allen Sendern werden wir wohl dosiert dauerbeschallt mit der ach so tollen veganen Ernährung. Sie läge voll im Trend. Ach was? Das ist mir natürlich so bisher nicht aufgefallen!

Was soll daran eigentlich genau der Trend sein? Wo „Trend“ doch auch nichts anderes bezeichnet, als die aktuelle Sau, die gerade durch das Dorf getrieben wird. A propos Sau: Manche meinen, es handle sich tatsächlich um einen Trend im soziologischen Sinne. Der bezeichnet nämlich eine längerfristige, tiefgreifende Entwicklung. Ob kurzer Hype oder lange Wende, ist eigentlich auch egal. Scheinbar geht es um Moral und dass das Aufessen der Sau unmoralisch ist. Dafür gibt es Argumente, aber auch Gegenargumente. Am Ende endet doch jeder kurze Bericht in einem der unzähligen Lifestylemagazine damit, dass der mutige Reporter oder die mutige Reporterin, der/die einen tagelangen Selbstversuch gewagt hatte feststellt, dass es nötig wäre insgesamt weniger Fleisch zu essen, es aber doch jedem selbst überlassen bleibe. Und schließlich schmecke es ja so gut und es sei so umständlich vegan zu leben.

Was meistens keiner sieht, das ist die andere Seite. Von der sieht es nämlich aus wie eine Befreiung. Wie solle eine vegane Lebensweise befreiend sein? Auf jedes zweite Produkt muss ich verzichten?!, fragen Sie sich vielleicht. Weniger ist manchmal mehr. Was vegane Menschen eher seltener haben ist die Qual der Wahl. Es gibt keine Handtaschenabteilung mit x Modellen im Kaufhaus, keine Parfümerie, in der an jeder Ecke etwas Neues ruft „kauf mich!“, keine vollgestopften Regale vor dem Kassenblock, an dem der Mensch wirklich willensstark sein muss, um nicht doch noch nach der süßen, klebrigen Quengelware zu greifen. Es ist klar: die Auswahl ist eingeschränkt. Aber vor dem Hintergrund, dass uns Konsum offensichtlich nicht glücklicher macht, weil er nur einen sehr kurzen Effekt hat, ist das vielleicht gar nicht schlimm. Ich muss einfach nichts mehr kaufen, weil ich keinen Gedanken darüber verschwenden muss, ob ich es tun sollte. Viele Entscheidungen sind einfach aus dem Hirn gestrichen, da es kaum Wahlmöglichkeiten gibt. Sie glauben gar nicht, wie entspannend es ist, den Luxus zu haben, sich nicht entscheiden zu müssen.

Im Grunde kaufen die sich so umständlich ernährenden Menschen auch nicht anders als andere – aus Erfahrung und Gewohnheit. Kurzum: Ob Sie bei jedem Einkauf zu Persil greifen oder zu einem Waschmittel von Frosch oder Ecover, das ist jetzt auch nicht mehr der riesige Aufwand, von dem immer alle reden. Genauso wenig, ob sie bei Google noch „vegan“ in die Suchleiste mit eintippen, wenn Sie mal wieder auf der Suche nach einem neuen Portmonaie sind.

Aber der Genuss, der Genuss, der bleibe ja ganz auf der Strecke. Veganes Essen sei so puristisch, eintönig, ein Verzicht und am Ende eine Selbstkasteiung. Was ist mit Geschmack? Vor allem dem Geschmack von rösch gebratenem, zartem Fleisch, der so lecker durch die Wohnung zieht, bevor es auf dem Teller schön drapiert wird, mit Leberkäs und Currywurst, mit Rührei und Sahnetorten? Eine Freude für Augen und Gaumen sind solche Sachen.
Auch gebratene Zucchini, oder jedes andere Bratgut riecht hervorragend, wenn es nur richtig gebraten und gewürzt wird. Dazu kommt: Für jede Marktlücke gibt es Anbieter, die sie füllen werden – auf kurz oder lang. Natürlich essen vegane Menschen daher Sahnetorten (mit Sojasahne), Rührei (Rührtofu) und Currywurst (aus Seitan). Aber halt nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit, nicht an den Pommesbuden, die es an jeder Ecke gibt und nicht zu jeder Tasse Kaffee, bei der einen der kleine Hunger überkommt. Vegane Produkte werden zum Kauf feil geboten, wie unzählige andere Dinge auch: per Klick im Internet zum Beispiel.

Im Grunde ist das Ganze nur eine andere Taktik: Zielgerichtet konsumieren, geplant und ohne verführerische Hinterhalte. Denn wir kennen doch alle die Unwiderstehlichkeit von Süßem in den reichen Auslagen der Bäckereien oder auf dem Naschteller der Kollegen, von fetttriefenden Dönern im Vorbeigehen und der Dessertkarte, wenn wir eigentlich schon satt sind. Ein Hinterhalt folgt dem nächsten, sobald wir morgens das Haus verlassen. Komisch. Leute, die sich vegan ernähren, sind dagegen irgendwie so… immun. Klingt das nicht herrlich erlösend? Befreit von der Konsum- und Wahlqual unserer übersatten Gesellschaft? Deshalb hat sich Oma als Kind so über Mandarinen so gefreut. Die gab es nämlich nur zu Nikolaus. Oscar Wilde bemerkte dazu schon: „Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.“

Und denken Sie ruhig einmal parallel zu dem Duft, dem Anblick des rosa gebratenen Stückes vor Ihnen, an ein Tier mit Augen, also quasi, wo noch alles dran war. Oder meinetwegen auch an die gerade abhängende Fleischhälfte, eines bereits liquidierten Rinds im Kühlhaus. Vielleicht fällt Ihnen dann auf, dass dieses Bild eine gewisse Ähnlichkeit mit der pathologischen Abteilung eines Klinikums hat und Ihnen wird schlagartig klar, dass das gebratene Leichenteile sind. Der Verwesungsprozess setzt mit dem Tode ein. Bei jedem Lebewesen. Ich könnte mir vorstellen, es bedarf schon viel „aber es schmeckt doch so gut“-Selbstüberredungskunst, um dann noch von Genuss reden zu können.

In diesem Sinne: Guten Appetit!