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Und erlöse und von der veganen Pest…

Es ist kaum noch zu ertragen! In jeder Zeitschrift auf allen Sendern werden wir wohl dosiert dauerbeschallt mit der ach so tollen veganen Ernährung. Sie läge voll im Trend. Ach was? Das ist mir natürlich so bisher nicht aufgefallen!

Was soll daran eigentlich genau der Trend sein? Wo „Trend“ doch auch nichts anderes bezeichnet, als die aktuelle Sau, die gerade durch das Dorf getrieben wird. A propos Sau: Manche meinen, es handle sich tatsächlich um einen Trend im soziologischen Sinne. Der bezeichnet nämlich eine längerfristige, tiefgreifende Entwicklung. Ob kurzer Hype oder lange Wende, ist eigentlich auch egal. Scheinbar geht es um Moral und dass das Aufessen der Sau unmoralisch ist. Dafür gibt es Argumente, aber auch Gegenargumente. Am Ende endet doch jeder kurze Bericht in einem der unzähligen Lifestylemagazine damit, dass der mutige Reporter oder die mutige Reporterin, der/die einen tagelangen Selbstversuch gewagt hatte feststellt, dass es nötig wäre insgesamt weniger Fleisch zu essen, es aber doch jedem selbst überlassen bleibe. Und schließlich schmecke es ja so gut und es sei so umständlich vegan zu leben.

Was meistens keiner sieht, das ist die andere Seite. Von der sieht es nämlich aus wie eine Befreiung. Wie solle eine vegane Lebensweise befreiend sein? Auf jedes zweite Produkt muss ich verzichten?!, fragen Sie sich vielleicht. Weniger ist manchmal mehr. Was vegane Menschen eher seltener haben ist die Qual der Wahl. Es gibt keine Handtaschenabteilung mit x Modellen im Kaufhaus, keine Parfümerie, in der an jeder Ecke etwas Neues ruft „kauf mich!“, keine vollgestopften Regale vor dem Kassenblock, an dem der Mensch wirklich willensstark sein muss, um nicht doch noch nach der süßen, klebrigen Quengelware zu greifen. Es ist klar: die Auswahl ist eingeschränkt. Aber vor dem Hintergrund, dass uns Konsum offensichtlich nicht glücklicher macht, weil er nur einen sehr kurzen Effekt hat, ist das vielleicht gar nicht schlimm. Ich muss einfach nichts mehr kaufen, weil ich keinen Gedanken darüber verschwenden muss, ob ich es tun sollte. Viele Entscheidungen sind einfach aus dem Hirn gestrichen, da es kaum Wahlmöglichkeiten gibt. Sie glauben gar nicht, wie entspannend es ist, den Luxus zu haben, sich nicht entscheiden zu müssen.

Im Grunde kaufen die sich so umständlich ernährenden Menschen auch nicht anders als andere – aus Erfahrung und Gewohnheit. Kurzum: Ob Sie bei jedem Einkauf zu Persil greifen oder zu einem Waschmittel von Frosch oder Ecover, das ist jetzt auch nicht mehr der riesige Aufwand, von dem immer alle reden. Genauso wenig, ob sie bei Google noch „vegan“ in die Suchleiste mit eintippen, wenn Sie mal wieder auf der Suche nach einem neuen Portmonaie sind.

Aber der Genuss, der Genuss, der bleibe ja ganz auf der Strecke. Veganes Essen sei so puristisch, eintönig, ein Verzicht und am Ende eine Selbstkasteiung. Was ist mit Geschmack? Vor allem dem Geschmack von rösch gebratenem, zartem Fleisch, der so lecker durch die Wohnung zieht, bevor es auf dem Teller schön drapiert wird, mit Leberkäs und Currywurst, mit Rührei und Sahnetorten? Eine Freude für Augen und Gaumen sind solche Sachen.
Auch gebratene Zucchini, oder jedes andere Bratgut riecht hervorragend, wenn es nur richtig gebraten und gewürzt wird. Dazu kommt: Für jede Marktlücke gibt es Anbieter, die sie füllen werden – auf kurz oder lang. Natürlich essen vegane Menschen daher Sahnetorten (mit Sojasahne), Rührei (Rührtofu) und Currywurst (aus Seitan). Aber halt nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit, nicht an den Pommesbuden, die es an jeder Ecke gibt und nicht zu jeder Tasse Kaffee, bei der einen der kleine Hunger überkommt. Vegane Produkte werden zum Kauf feil geboten, wie unzählige andere Dinge auch: per Klick im Internet zum Beispiel.

Im Grunde ist das Ganze nur eine andere Taktik: Zielgerichtet konsumieren, geplant und ohne verführerische Hinterhalte. Denn wir kennen doch alle die Unwiderstehlichkeit von Süßem in den reichen Auslagen der Bäckereien oder auf dem Naschteller der Kollegen, von fetttriefenden Dönern im Vorbeigehen und der Dessertkarte, wenn wir eigentlich schon satt sind. Ein Hinterhalt folgt dem nächsten, sobald wir morgens das Haus verlassen. Komisch. Leute, die sich vegan ernähren, sind dagegen irgendwie so… immun. Klingt das nicht herrlich erlösend? Befreit von der Konsum- und Wahlqual unserer übersatten Gesellschaft? Deshalb hat sich Oma als Kind so über Mandarinen so gefreut. Die gab es nämlich nur zu Nikolaus. Oscar Wilde bemerkte dazu schon: „Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.“

Und denken Sie ruhig einmal parallel zu dem Duft, dem Anblick des rosa gebratenen Stückes vor Ihnen, an ein Tier mit Augen, also quasi, wo noch alles dran war. Oder meinetwegen auch an die gerade abhängende Fleischhälfte, eines bereits liquidierten Rinds im Kühlhaus. Vielleicht fällt Ihnen dann auf, dass dieses Bild eine gewisse Ähnlichkeit mit der pathologischen Abteilung eines Klinikums hat und Ihnen wird schlagartig klar, dass das gebratene Leichenteile sind. Der Verwesungsprozess setzt mit dem Tode ein. Bei jedem Lebewesen. Ich könnte mir vorstellen, es bedarf schon viel „aber es schmeckt doch so gut“-Selbstüberredungskunst, um dann noch von Genuss reden zu können.

In diesem Sinne: Guten Appetit!


Warum Palmyra kein Leuchtturm für die Humanität ist

The Guardian hat vor Kurzem einen Artikel veröffentlich zu der Frage, ob wir um Steine weinen dürfen, wo durch IS doch Kinder sterben. Eine interessante Fragestellung. Dazu ein Kommentar.

Es geht nicht um Steine, sondern Humanität

So lautet die Kernthese des Artikels. Museen und Kulturliebhaber solidarisieren sich weltweit Fotografien, die die Daniel Blue Gallery zum Thema Palmyra veröffentlicht hat. Es wäre einfach nur töricht, eine Unterscheidung zu machen zwischen der Trauer um Menschen und der Trauer um Kunst, da Vergangenheit und Zukunft ein integraler Bestandteil der Menschen wären. Es ginge um eine emotional Verbindung zwischen Kunst und dem realen Leben. Begründet wird diese These wie folgt: Im British Museum London sind Bildnisse von verblichenen Bewohnern von Palmyra zu sehen. Sie seien ebenso lebendig wie wir, es gehe nicht um einen fernen Ort und deshalb geht es nicht nur um Steine, sondern um ein  Spiegelbild unserer selbst. Nur durch das Schätzen der Vergangenheit, könnten wir uns um die Zukunft sorgen, uns „zivilisiert“ nennen. Anderenfalls wären wir nur Tiere ohne Erinnerung.

Was als letztes Argument genannt wird, bleibt auch am ehesten hängen: Tiere sind ja so unzivilisiert. Sie haben keine Kultur und keine Erinnerung. Die aktuelle Wissenschaft schreibt aber genau dies diversen Tierarten, die in sozialen Verbänden leben, darunter Raben und Primaten, Elefanten und Dammwild, zu. Sie besitzen ein kollektives Gedächtnis, was bedeutet, dass Wissensinhalte über mehrere Generationen innerhalb der Gruppe weitergegeben werden. Die Mär der menschlichen Überlegenheit über das Tier hat eine christliche Wurzel. Viele Jahrhunderte legte die Theologie die Texte der Genesis so aus, als stünde der Mensch über dem Tier, sei ihm in allem überlegen und das sei „Gott gewollt“. Streicht mensch diese Vorannahme weg, fällt dieses Argument, der Mensch müsse seine Kultur erhalten und schützen, weil es eine urmenschliche Eigenart wäre, in sich zusammen. „Je suis Palmyra“, das hätte nur noch gefehlt.

Gut, zumindest nutzt der Autor Jonathan Jones nicht das Argument, dass Palmyra verteidigt werden müsse, weil es eben der Islamische Staat (IS) sei, der es bedroht. Oder tut er das doch? Obwohl er das Wort zivilisiert in Anführungszeichen setzt, hinterlässt gerade diese Begründung einen faden Beigeschmack. Sind etwa wir im Westen die Zivilisierten, weil nur wir erkennen, wie erhaltenswert Palmyra ist? Wenn wir die Zivilisierten sind, sind die anderen offenbar die Barbaren? Die, die einfach nicht verstehen wollen – oder die einfach zu unaufgeklärt sind – als dass sie verstehen könnten, wie wertvoll die antike Stätte für die Menschheit ist.
Übertragen wird das auf einen ähnlichen Sachverhalt. Im Brasilianischen Regenwald wurden in den letzten zehn Jahren durchschnittlich drei Fußballfelder pro Minute abgeholzt. Folgen wir der Argumentation des Autors, geht es nicht um alte Steine und auch nicht um Bäume. Es geht um Kulturgut und -raum, die Teil unserer Menschheitsgeschichte sind, unseres kollektiven Gedächtnisses. Ettlicher indigener Völker leben aktuell dort im Regenwald. Wie zivilisiert sind wir, wenn wir noch lebenden Menschen, ihre Kultur- und Lebensräume zerstören, ihr kulturelles Gedächtnis etwas ärmer machen? Und gibt es hier nicht einen „emotionalen“ Vorrang von tatsächlich lebenden Menschen anstatt nur imaginär lebenden Menschen, nämlich den historischen Personen aus Palmyra? Geschichte ist wichtig für unsere Identität. Doch sollten immer die lebenserhaltenden Maßnahmen für die noch Lebenden über die der historischen Toten gestellt werden.

Die Dichotomie zivilisiert – barbarisch ist darüber hinaus eine ethnozentrische Setzung. Fragen Sie mal die Herren vom IS. Die werden Ihnen sicher versichern, wie unzivilisiert der diabolisierte Westen, angeführt von den USA, sich verhält.

Was unterscheidet Palmyra von einem aktuelleren Projekt, beispielsweise einer Rettungsgrabung? Rettungsgrabungen werden auf Baustellen durchgeführt, bei denen es zufällig während der Erdarbeiten zu einem archeologischen Fund kam. Dann wird die Arbeit gestoppt und eine Art Erste-Hilfe-Truppe von Archeologen rollt an, die unter Zeitdruck (denn Zeit ist Geld) die historischen Überreste erfasst. Da das Bauprojekt nicht abgebrochen wird, wenn es sich nicht gerade um Ötzi 2 oder die Entdeckung von Atlantis handelt (also etwas von außerordentlicher historischer Bedeutung), wird auch diese Kulturstätte anschließend versiegelt, zubetoniert, ausgehoben, vernichtet. Natürlich wurde alles für die Nachwelt dokumentiert. Das ist bei Palmyra auch der Fall. Wo ist nun der Unterschied?

Natürlich kann argumentiert werden, dass in Palmyra noch Stein auf Stein steht. Es ist eine besondere Stätte, da es von ihrersgleichen nur noch wenige gibt, wenn sie nicht gar einzigartig ist. Die Frage bleibt, was sie unterscheidet, von einer antiken Stadt, einige Meter unter dem Rasen hinter dem Münchner Rathaus, die vor einigen Monaten wieder sorgfältig zugeschüttet wurde (nach einer archeologischen Erfassung).

Wären es Einheimische gewesen, oder Bombenangriffe der Iraker oder friedliebende Buddhisten, die nach und nach die Stadt Stein um Stein abgetragen hätten, würden wir uns ebenso um Palmyra sorgen? Die Situation, beispielsweise in Pompeij, das nach und nach dem Verfall preis gegeben wird, lässt mutmaßen, dass es wohl nicht so wäre. Es ist also nicht unwesentlich in der Diskussion, dass es eben der Islamische Staat ist, der Palmyra mutmaßlich bedroht. Steine zu schützen, weil wir die Bedroher der Steine nicht mögen, das ist wohl eine Übertragung und erinnert an russische Boykottversuche europäischer Produkte seit Beginn der Ukraine-Krise. Palmyra wird instrumentalisiert. Es geht nicht um alte Steine. Es geht um den IS. Und Palmyra ist in Geiselhaft – gegen den IS. Darüber sollten wir uns klar werden.

Über allem steht wohl unbestritten, dass ein Menschenleben wichtiger ist (und wichtiger zu sein hat) als jeder Stein dieser Erde. Man kann gegen die Zerstörung von Palmyra sein. Man kann auch gegen den IS sein. Aber bitte nicht gegen den IS weil seine Mitglieder drohen, Palmyra zu zerstören, oder nicht für den Erhalt von Palmyra weil es der IS ist, der es bedroht. Vermischungen religiöser und politischer Art mit Eigeninteressen sind es, die die Athmosphäre erhitzen und erschweren, unter der Fokussierung auf die einzelnen Fragmente, einen kühlen Kopf zu bewahren.


Von Silikonbrüsten und anderen „Abartigkeiten“

Ein kleiner Ausflug in die Subkultur des Bodybuildings

In letzter Zeit habe ich mir einige Fragen zum Thema Outgroup – Ingroup und Subkultur gestellt. Auslöser war der Besuch eines Bodybuilding-Wettkampfes. Diese Eindrücke führten bei mir zu Einsichten und Irritationen und zu der Frage: „Sind die noch normal?“.

Am Ende der Vorbereitungsdiät steht bei jedem Athleten oder jeder Athletin der Wettkampf. 2014 hatte ich die Möglichkeit, mir das einmal live anzuschauen. Auf Landesebene, bei der Bayerischen Meisterschaft, war das Ganze noch recht familiär und überschaubar. Bei der Deutschen Meisterschaft auf Bundesebene fand ich mich dann wieder in einem El Dorado der Plastik-Barbies.

Zu dieser Entwicklung kam es, als vor einigen Jahren die Bikiniklasse eingeführt wurde. Sie sollte den Außenseitersport interessanter machen und Hürden zur Teilnahme an Wettkämpfen abbauen. Bei den Damen hat das gefruchtet. Die neue Klasse platzt, egal wo sie stattfindet, aus allen Nähten, so dass es nun auch eine „Bikiniklasse“ für Männer gibt – genannt Mens Physique. Deren Vorführung hat mich wirklich erheitert, denn sie waren das passende Pendant zur Barbie-Klasse… lauter Barbie-Kens. Der Vollständigkeit halber sollte ich erwähnen, dass diese Klasse bei eingefleischten Bodybuildern umstritten ist, da nur der Oberkörper gewertet wird. Dies widerspricht dem Ideal eines komplett (!) wohlgeformten, athletischen Körpers. Leider konnte das auch das Publikum erkennen. Die austrainierten Oberkörper wurden bei einigen Teilnehmern nur von knielangen Badehosen optisch von den dünnen, untrainierten Waden getrennt.  Gänzende, braune athletische Körper wie wir sie nur aus Hollywood-Streifen kennen live auf der Bühne. The American Way of Life da im beschaulichen Wiesloch, direkt vor meinen Augen, um mich herum. Glitzer und glamour ‚made in Germany‘.

Dass frau sich aufhübscht, stylt und mit Glitzer-bling-bling-Bikinis hervorhebt, das hatte ich auf der Bayerischen Meisterschaft schon kennengelernt und fand ich eher interessant als überraschend. Schließlich schlüpft wohl jedeR gern mal in eine ganz andere Rolle, als was seinem Naturell am nähesten liegen würde. Aber hier wurde ganz deutlich, dass es um eine Optimierung der körperlichen Gegebenheiten ging. „Klar! Das ist wohl der Sinn von Bodybuilding“, antworten irritierte Leser. Was mich allerdings irritiert hat, waren die Mittel zu diesem Zweck. Denn das waren offensichtlich nicht nur Hanteln und ein paar Eiweißshakes.

Den Begriff „over-sexualized“ will ich (noch) nicht verwenden, aber den der Plastikbrüste. Sie muteten an wie seltsam abstehende halbe Fußbälle oder sorgfältig geteilte Melonen, die ohne körperliche Passung teilweise abstanden, als wären sie nicht Teil des Körpers, sondern seltsame Hämatome an von männlichen Augen bevorzugten Stellen. Ist ja auch kein Wunder bei Körpern, an denen kaum mehr Fett ist. Üppige Brüste an einem ausgemergelten Körper fallen auf. Für gewöhnlich bestehen diese nämlich zu einem Großteil aus Fett. Das wanderte wohl bei einigen gesegneten Kandidatinnen vom Rest des Körpers in den Busen – mit chirurgischer Hilfe und in Silikonform. Kein Wunder, dass das etwas „unnatürlich“ wirken könnte.

Aufmerksam wurde ich auf die Verlinkung zwischen Wettkampfambitionen und dem Gedankenspiel mit einer Brustvergrößerung durch immer wieder auftauchende Fragen in Fitness- und Bodybuildingforen für Frauen. Oder über namhafte Topathletinnen, die in dem ein oder anderen Video erzählen, dass eine der häufigsten an sie gestellten Fragen sei, ob für Erfolg in der Bikiniklasse gemachte Brüste Voraussetzung seien. Natürlich wird dies immer verneint. Schaut frau sich allerdings genauer um, muss sie Damen ohne chirurgische Hilfe mit der Lupe suchen. Klar, das Schönheitsideal drückt sich auch – oder gerade eben – in diesem körperfixierten Sport aus. Natürlich gibt es auch die Athletinnen, deren Silikonbusen vor dem Kraftsport schon da war. Und es gibt die Athletinnen, deren Brüste einfach „natürlich schön gemacht“ sind – jedenfalls nicht wie abstehende Pampelmusen. Die Frage, ob dieser Sport eine bestimmte Gruppen von Frauen beziehungsweise Personen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen oder einer bestimmten psychologischen Konstitution anzieht, lasse ich an dieser Stelle mal im Raum stehen.

Der zweite prägende Eindruck während des Wettkampfgeschehens waren die Beulen am Hintern einer Athletin. Seltsam symmetrisch erhoben sie sich von ihrem wohl geformten Hintern, den sie selbstsicher der Jury entgegen reckte. Vor dieser Szene auf der Bühne, hatten mich andere Zuschauer, die die Vorwahlen gesehen hatten, bereits auf dieses Hinterteil angesprochen. Naiv wie ich bin, dachte ich, es wäre einfache Cellulite gemeint. Als sie sich dann umdrehte wurde mir klar, dass hier wohl von etwas anderem die Rede war.

Nach einigen Gesprächen in den Folgewochen wurde mir klar, dass auch in der „Prinzessinnenklasse“, der Einsteigerklasse für Frauen, nicht mehr nur mit Wasser und Proteinshakes gekämpt wird. Man munkelte, die Po-Beulen dürften Einstichstellen gewesen sein. Da es scheinbar jedoch noch immer (naive) Athletinnen gibt, die genau das nicht tun (wie meine Bekannte, die teilgenommen hatte), kam ich nicht um die Frage herum: Ist das Schummeln?

Da es sich bei der Anwendung diverser Hilfmittel offensichtlich um einen Konsens, nein, gar eine Bedingung für den sportlichen Erfolg in diesem Verband handelt, kommt mensch früher oder später nicht darum herum zu schummeln, wenn man Erfolg haben will. Ist es dann noch „schummeln“? Oder ist es als eine Nötigung zum „Schummeln“ zu verstehen? Am Ende bleibt, dass derjenige der Depp ist, der nicht bereit ist zu schummeln. Und wie verbreitet die Schummeleien sind, wird vielen wohl erst klar, wenn sie das erste Mal live dabei sind. Sind das also alles nur unsportliche Schummler oder sind die Schummelverweigerer einfach nur naive Spielverderber? Damit sind natürlich nur die gemeint, die diese „Gewohnheit“ anprangern. Reden wir nicht um den heißen Brei herum. Im Reglement steht, wie bei jedem Sportverband, der ernst genommen werden möchte, dass offensichtlicher Anabolikamissbrauch zur Disqualifizierung führt. Ein Insider hatte diesbezüglich einen Satz formuliert, der wie kein anderer die Frage beantwortet, warum die Beulen am Hintern jener Athletin keine Konsequenzen hatten: In seinem Ignorieren des Anabolikamissbrauchs ist der Verband überraschend konsequent.
Dies führte mich zu der Frage, ob man noch von einem ernsthaften Sport sprechen kann, wenn man zum Schummeln mehr oder weniger genötigt ist. Klar, sein lassen kann man es immer. Und dann? Sieht mensch sich genauer um, fällt auf, dass kaum ein Sport, wenn er nur intensiv genug betrieben wird, heute noch ohne Schummeln auskommt. Fußball? Verdorben. Rennrad fahren? Sowieso. Olympia? Ein Molloch von Substanzen an der Grenze und darüber hinaus.

Genau. Die Grenze. Die Grenze, was erlaubt ist und was nicht, wird gezogen von Menschen. Diese erlauben Höhentraining und schlafen in einer Kabine, die Höhenluft nachahmt, aber nicht das Abzapfen von Blut nach dem Höhentraining und spätere wieder zuführen. Das sogenannte „Blutdoping“ hat genau die gleiche Wirkung, wie die Kabinen-Methode. Chemisch kann man diese natürlich auch noch erzielen. Im Endeffekt ist das Ergebnis das gleiche. Was ist erlaubt, was nicht?

Es scheint doch etwas Urmenschliches zu sein, dass wir uns immer wieder neu erfinden, an unsere Grenzen gehen wollen und noch darüber hinaus. In dieser Hinsicht ist Sport vielleicht nichts anderes als Forschung. Geclonte Schafe, optimiertes Gen-Getreide, Kernenergie, In-vitro-Fertilisation und extrem belastbarer Superstahl sind nur ein paar Beispiele für Forschungsinnovationen. Was ist erlaubt, was nicht? Und unterwelchen Bedingungen?
Hier kann mensch argumentieren, dass die Forschung schließlich dem Wohle der Menschheit dient. Sport ist eine individualistische Angelegenheit (wenn wir den Völkerverständigungsaspekt bei Weltmeisterschaften und Olympia außen vor lassen). Der Sportler „ruiniert“ sich nicht für sein Vaterland, sondern für den eigenen Ruhm. Und dafür lassen sich sogar Neueinsteiger in den Sport Silikon implantieren und Spritzen setzen. Was ist erlaubt, was nicht?

Ein Brust-OP ist eine chirurgischer Eingriff am Körper mit dauerhaften Folgen. Wo ist eigentlich der Unterschied zu chemischen Substanzen? Diese haben in der Regel eine kürzere Halbwertszeit als Silikonbrüste. Und warum gilt jemand nicht als „gedopet“, wenn er/sie Schilddrüsenhormone oder ein Antidepressivum nimmt? Schließlich greifen diese in Stoffwechselvorgänge ein. Natürlich ist dies medizinisch begründet. Der „nicht richtig funktionierende Mensch“ wird durch Medikamente zu einem „normal funktionierenden“ gemacht. Dass nicht „normal“ oder „gesund“ auch nur wieder Grenzsetzungen sind, die von Menschen irgendwann gezogen wurden, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Menschen mit bestimmten psychischen Erkrankungen waren früher „außergewöhnlich“, „visionär“ oder von Gott besonders geliebt (mit Potential zu Heiligsprechung). Heute wären sie einfach nur abnormal und krank, korrekturbedürftig auf jeden Fall.

Zurück zu den Plastik-Brüsten… Gehen wird einmal davon aus, sie sind die Korrektur der unvollkommenen Natur, beziehungsweise der menschliche Korrekturversuch einem Gruppenkonsens von „Schönheit“ zu entsprechen. Schönheit ist gesellschaftlich bestimmt. Weltumspannend kann gut beobachtet werden, welch unterschiedliche Verständnisse es davon gibt. Zu denken wäre an die Frauen mit Giraffenhälsen, Tattoowierungen und Piercings in den Ohren oder im Mundbereich oder an chinesische Lilienfüße, die glücklicherweise der Vergangenheit angehören. Bereits einige dieser Techniken der Körpemodifikation haben Eingang in eine europäische Körperkultur gefunden, darunter Tattoos, Piercings oder auch Bodybuilding, was ebenfalls eine Form der Körpergestaltung ist. Mit welcher Begründung, ist also eine Körpermodifikation durch operative Eingriffe gerechtfertigt, nicht aber eine Veränderung durch chemische Hilfe? Und warum stößt sich die außenstehende Gesellschaft an dem einen, am anderen aber nicht?

Vielleicht ist es eine menschliche Urangst, der Mensch könnte über sich selbst hinaus wachsen. In der Geschichte der Menschheit geben Religionen viele Beispiele für den Versuch der Eingrenzung dieses „Überwachstums“. Vielleicht, weil wir dann gottgleich werden würden? Oder uns die Angst übermannt, wir könnten uns selbst übermannen, uns selbst strangulieren, ja ruinieren? Der Mensch soll am Boden bleiben und nicht sprichwörtlich über seine „natürlichen Fähigkeiten“ (was auch immer diese sein mögen) hinauswachsen.
Nun tun Bodybuilder genau dies. Sie wachsen. Unaufhörlich. Wie die Mastbullen häufen sie Muskeln zu Bergen an über ihrem Knochengerüst, dass Köpfe wie Erben wirken lässt, auf einem Berg von Fleisch. Sie sind die Verkörperkung von „über sich hinaus wachsen“. Vielleicht wird es deshalb von der Gesellschaft als „abartig“ wahrgenommen.
Und weil dies nur mit bestimmten Mittelchen möglich ist, sind diese Hilfmittel „böse“. Dabei ist ein Bodybuilder nicht „abartiger“ als jeder forschende Wissenschaftler. Im Gegenteil… Er setzt seine eigene Gesundheit auf’s Spiel – und nur diese – während doch schon der ein oder andere Forschende mal das Budget des Drittmittelgebers oder gar Leib und Leben von anderen Lebewesen riskiert.

Zurück zu den Plastik-Brüsten… Sie verkörpern das menschliche Streben nach Perfektion, Schönheit, Anerkennung. Und das mit allen den Menschen zur Verfügung stehenden Mitteln. Damit unterscheiden sie sich nicht von anderen Lebensbereichen. Andere Menschen optimieren ihr Ego durch den Besitz eines standesgemäßgen Luxusautos, einer Wohnungseinrichtung wie aus dem Möbelkatalog oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (nennen wir sie die vermeintlichen Schickerias oder High Societies dieser Welt). Bodybuildingsportler tun dies durch ihre Körpergestaltung. Sie unterscheiden sich auf den ersten Blick von anderen Menschen – von der Mehrheit der Menschen. Und deshalb sind sie ein Vorwurf. Denn Attraktivität kann nicht einfach im nächsten Möbelhaus käuflich erworben werden. Ein Hauch der „Perfektion“ umschwirrt sie und zeigt allen anderen „das ist möglich“. Sportliche Körper werden mit Gesundheit assoziiert. Die Mittel zum Zweck dieser Modifikation werden zum Vorwurf. Denn sie sind die Mittel, um über sich selbst hinaus zu wachsen, auf Kosten seiner eigenen Gesundheit – und nur dieser.


Blogrückblick 2012

Die WordPress.com-Statistik-Elfen fertigten einen Jahresbericht dieses Blogs für das Jahr 2012 an.
Auf ein neues Jahr mit hoffentlich wieder mehr Beiträgen von mir.
So Happy New Year und danke an meine Leser!

Hier ist ein Auszug:

600 Personen haben 2012 den Gipfel des Mount Everest erreicht. Dieser Blog hat 2012 über 2.200 Aufrufe bekommen. Hätte jede Person, die den Gipfel des Mount Everest erreicht hat, diesen Blog aufgerufen, würde es 4 Jahre dauern, um so viele Aufrufe zu erhalten.

Klicke hier um den vollständigen Bericht zu sehen.


Gedanken in den Grauzonen

Es ist nicht immer alles eindeutig schwarz und weiß. Das würde das Leben auch allzu einfach machen. Stattdessen müssen wir täglich unsere Köpfe nutzen um für uns selbst Grenzen abzustecken, beizubehalten oder zu verändern.

Wo meine Grenzen in Bezug auf Tier(aus)nutzung sind, das frage ich mich in letzter Zeit desöfteren. Natürlich ist es menschlich und vernünftig kein System zu unterstützen, dass massenweise Tiere in Ställe pfercht und unter unwürdigsten Bedingungen mästet. Nur damit schmackhafte Fleischteile in allen Variationen schließlich den Weg auf unsere Teller und in unsere Mägen finden. Es gibt aber auch hier nicht nur die schwarzen, bösen Männchen, die dieses System be- und vorantreiben.

Was ist mit dem alleinstehenden Nachbarn meiner Schwiegereltern, der auf dem Land in einem hübschen Hühnerauslauf seine paar Hennen und einen Hahn hält? Sie erscheinen mir glücklich und auch nicht leidend. Was ist mit dem Nachbarsehepaar zur anderen Seite, die ihre einstellige Zahl Kühe im Stall mit Auslauf halten und täglich versorgen?

Seit ein paar Wochen nun von der Vegetarierin zur Veganerin mutiert, schlägt mir nicht nur von den städtischen Billigfleischkonsumenten scharfer Gegenwind entgegen. Auch die Bewohner der beschaulichen kleinen Dörfer werfen mir irriterte und fragende Blicke zu. Und: Ich kann sie voll verstehen. In dem Moment komme ich kurz darauf nicht umhin mich zu fragen, ob es nicht sie sind, denen ich Unrecht tue mit meinen Klagen über das große Übel der Tierhaltung und die Fleischbürde der Menschheit. Ziehe ich doch mit einem Statement den Inhalt ihres ganzen Berufslebens in den Dreck, bezeichne sie – ohne es auszusprechen – als Tierquäler, indem ich die Meinung vertrete, Tierhaltung wäre prinzipiell nie artgerecht. Abgesehen davon, dass ich mit dieser Haltung nicht nur Menschen verletze und so gar nicht respektiere, fühle ich mich plötzlich menschlich unheimlich mies.

„Aber was ist das alles in Relation zu einem ermordeten Tier?!“, würden hier erfahrenere Veganer mich vielleicht unterbrechen. Da wären wir wieder: bei den Graubereichen. Es geht nicht um Töten, es geht um vermeintlich glückliche Hühner und deren Refugium. Um das Recht oder Unrecht, deren Eier zu entnehmen. Es geht um alte Kühe, die neben mir auf der Weide stehen und zufrieden Gras kauen. Sie dienen nicht mehr dem Erhalt des täglichen Brotes. Sie sind Hobby vielleicht auch der Rest, der deren Besitzer noch mit ihrem Leben als Bauern verbindet. „Es geht um das Recht der Tiere auf Freiheit, auf freie Selbstbestimmung und nicht getötet und gegessen zu werden“, so der Tonus der Tierrechtsbewegung. Philosophisch sind das edle Gedanken, die auch auf mich ihren Reiz ausüben. Es ist unmenschlich, Tieren etwas anderes zuzumuten. Und dann kommen die tierrechtlich ketzerischen Gedanken: Wie unmenschlich bin ich denn eigentlich, wenn ich diesen Menschen und ihrer Lebensweise Respektlosigkeit entgegenbringe? Wenn ich alles, was sie gelebt haben, aus den Angeln hebe und auf dem Boden verschütte? Und das, was sie als Bereicherung für sich und Wohltat für die Tiere täglich tun, als Tierquälerei brandmarke? Es kann nicht menschlich sein für diese Menschen – aber auch nicht unmenschlich für deren Tiere, jahrelang im Hühnergarten tagtäglich zu scharren und im Pulk über das frische Gras zu spazieren. Es ist ein Geben und Nehmen. Futter und Schutz erhalten, Eier abgeben.

Vielleicht kann dies mehr als Mietvertrag verstanden werden. Natürlich, der Mieter wurde nie gefragt, ob er mieten will. Ich wurde allerdings auch nicht gefragt, ob ich als Kind bei meinen Eltern wohnen möchte. Und ganz sicher bin ich mir bei Folgendem: die liebevolle Beziehung, die einige einzelne noch zu ihren Tieren haben, wird von vielen mit ablehnender Haltung unterschätzt. Und wer diese Menschen beobachtet, kann vielleicht feststellen, dass ihre Zuwendung nicht nur einseitig ist.

Foto: flickr/pppspics

Foto: flickr/pppspics


Frohe Ostern!

Ich wäre nicht ich, würde ich nicht immer wieder was Neues zum drauf Rumhacken finden. Ostern ist assoziiert mit Hasen, Eiern und auch Küken. Aber nicht nur an Ostern, auch während des restlichen Jahres haben Küken alles andere als ein lustiges Leben. Wenn es denn überhaupt soweit kommt …

Na dann: Frohe Ostern!


Ein Stunde für die Erde: Leg den Schalter um!

Mach mit bei der WWF Earth Hour 2011

Am 26. März sollten wir alle mal für 60 Minuten das Licht ausschalten.

Homepage der WWF Earth Hour


Die Praktiken der deutschen Erdlinge

Faktencheck zum tatsächlichen Verhältnis zwischen Mensch und Tier in Deutschland

„In Europa ist das doch ganz anders!“ oder „die Amerikaner spinnen doch eh!“, höre ich als Kommentar zu den schockierenden Bildern aus dem Film „Earthlings“. Tierschützer und Tierrechtler nutzen in diesem Film die Macht der Bilder gut um ihre Botschaften emotional rüberzubringen. Durch Kommentare, Schnitt und Musik kann Bildern eine bestimmte und gewünschte Bildaussage gegeben werden. Unkommentierte Bilder zur Lage der Lebensmittelindustrie, die mehr sagen als tausend Worte, gibt es in der (wortlosen) Dokumentation „Unser täglich Brot“. Sicher sind die Szenen in eben jenem Film sehr brutal. Dass die Welt, die dahinter steht aber wirklich existiert, kann nicht abgestritten werden. Es gibt Schlachthäuser, Mastbetriebe, Versuchslabors, Lederstiefel, Tierheime, Haustierfanatismus und dergeleichen.

Selbst bin ich in puncto Tierleid und Tierquälerei anfangs auf die Unterscheidung „in Deutschland“ und „anderswo“ reingefallen. Deutschland hat weltweit gesehen ein „strenges“ Tierschutzgesetz, viele Länder außerhalb Europas gar keines. Vielleicht bin ich gerade durch dieses Wissen auf den „die anderen“-Trick reingefallen.

Dass die Umstände hinter den Bildern des Filmes zum großen Teil aber auch in Deutschland tägliche Wirklichkeit sind, habe ich recherchiert.

Haustiere

Einschläfern von Tierheimhunden

Auch in deutschen Tierheimen werden Tiere eingeschläfert. Das ist der Fall bei aggressiven, alten oder kranken Hunden. Wenn ein Hund nicht mehr vermittelbar ist, weil er beispielsweise Menschen angegriffen hat, kann eine Tötung in Betracht gezogen werden. Darüber entscheidet die Tierheimleitung. Selbiges gilt für alte Hunde, die schwerer zu vermitteln sind, und daher jüngeren Neuzugängen mit höheren Vermittlungschancen Platz wegnehmen. Die vor einigen Jahren in Kraft getretene Kampfhundeverordnung hat viele Tiere, die aufgrund ihrer Rasse nicht mehr gehalten werden dürfen, in die Tierheime geschwemmt. Diese dürfen gar nicht mehr vermittelt werden.

Ein Radiobeitrag zur Lage in der Schweiz (in Schweizerdeutsch)

Die Produktionspraxis mancher Hundezüchter in Deutschland ist schon manchmal mehr zum finanziellen Vorteil des Züchters, also des Hundes. Eine neue Dimension erreicht die Hundevermehrung mit den Welpenfabriken Osteuropas. In den letzten Jahren hat sich jedoch auch ein ganzer Markt für Hundewelpen etabliert, der im großen Stil Tiere nach Westeuropa schmuggelt. Diese Tiere sind meist nicht geimpft oder entwurmt und viel zu früh von der Mutter getrennt worden. Daher sterben die meisten an typischen Hundekrankheiten oder Würmern oft schnell. Das Geschäft rentiert sich für die Drahtzieher sehr, da man einen Rassehund in Deutschland schon für 600 Euro aufwärts verkaufen kann.
Die Hündinnen werden oft eingepfercht unter grauenvollen Bedingungen als Reproduktionsmaschinen gehalten. Hier zwei Berichte:

Machenschaften der Welpenmafia

2.       Fleischproduktion

Um Tiere auf so engem Raum halten zu können, wie es Tierbetriebe im großen Stil tuen, müssen die Tiere auch in Deutschland der Umgebung und den Prozessen angepasst werden. Ich erwähne auch kurz Praktiken, die im Film so nicht vorkommen.

Schwanzkupieren bei einem Ferkel

Ferkelkastration ohne Betäubung ist erlaubt und weit verbreitet. Laut der ZEIT sind es 20 Millionen Eber die jährlich ohne Narkose kastriert werden.  In der Schweiz ist betäubungslose Ferkelkastration seit 2009 verboten. Auch Rinder, Ziegen und Schafe dürfen bis zu einem Alter von vier Wochen betäubungslos kastriert werden. (§ 5 und §6 TierSchG)
Das Zähne abkneifen oder schleifen ist bei Ferkeln bis zum siebten Lebenstag erlaubt. Außerdem legale Praxis ist das kupieren der Schweineschwänze.

Verletzungsschutz ohne Tierbeschädigung

In Deutschland dürfen Kühe enthornt werden. Allerdings nur unter Betäubung. Eine betäubungslose Enthornung ist bei Kälbern bis zum Alter von sechs Wochen erlaubt. Die Hornanlagen der Kälber werden mit einem Brenneisen ausgebrannt oder mit einem Ätzstift weggeätzt. Hierbei kann natürlich Säure in die Augen laufen oder an anderen Stellen Verletzungen verursachen. Letztere Methode ist in Deutschland nicht mehr zugelassen. Bei erwachsenen Rindern entfernt man Hörner nur bei Krankheit oder Umstellung auf Laufstall. Der Platzmangel und Rangordnungskämpfe können bei der Laufstallhaltung sonst zu Verletzungen untereinander führen. Dies passiert mit einem Sägedraht unter Betäubung. Man kann aktuell auch Besamungsmaterial mit der Eigenschaft Hornlosigkeit erwerben.

Die Markierung von Nutztieren durch das Stechen von Ohrmarken ist gesetzlich vorgeschrieben.

Auf einer Weide frei laufende Schweine sind für den Kunden nett anzusehen. Da Schweine aber einen angeborenen Trieb zum Wühlen in der Erde haben, macht das den Boden kaputt. Er ist dann für den Schweinehalter schwieriger zu bearbeiten. Um dieses arteigene Wühlen zu unterbinden, können Schweine sogenannte Rüsselkrampen in die Nase gestochen werden. Das ist sehr schmerzhaft, da die Nase ein

Saugstopper

wichtiges Organ für das Schwein ist. Zudem ist diese Technik in Deutschland eigentlich verboten. Die Tatsache, dass man diese Klemmen in so ziemlich jedem Agrarhandel oder Onlineshop bekommt, lässt jedoch vermuten, dass diese Dinge auch gekauft und angewandt werden.
Auch bei Rindern wird Ähnliches eingesetzt. Nasenringe, die durch die Nasenscheidewand gestochenwerden, ermöglichen einen Bullen zu führen und zu „zähmen“, da ein Ruck an dem Nasenring sehr weh tut. Auch bei Jungkühen werden Nasenringe angebracht, sogenannte Saugstopper, die wie der Name sagt, das Saugen am Euter unterbinden soll.
Nasenringe sind auch durch die Verwendung an Tanzbären bekannt.

Zum angeborenen Verhalten eines Huhns gehört das Picken. Werden viele Hühner auf engem Raum gehalten, dazu noch ohne Möglichkeit dieses Verhalten auszuüben, picken sie sich gegenseitig die Federn aus um ihr Bedürfnis zu befriedigen. Indem man die Lichtintensität in den Betrieben verringert, soll dieses Verhalten gemindert werden, was aber nicht hunderprozentig wirkt. Tritt das Verhalten bei Moschusenten auf, werden diese meist bis zum Schlachttag in Dunkelheit gehalten. Im Film wird hier das Schnabelkupieren bei Küken gezeigt. Es ist in Deutschland generell nicht erlaubt, kann aber genehmigt werden, wenn es zum Schutz des Tieres ist, in Bezug auf die Nutzung, für die es vorgesehen ist. Schnabelkupieren wird in Deutschland aktiv praktiziert. Dabei wird beispielsweise mit  einem Infrarotlaser die Schnabelspitze des empfindlichen Tastorgans des Huhns so stark erhitzt, dass das Gewebe abstirbt und die Schnabelspitze nach einigen Tagen abfällt. Längere Verwendung hat die Methode des Kupierens mit einem heißen Messer. Es gibt auch eine rotierende Maschine, der das Kupieren des Schnabels und Umpfungen zeitgleich automatisch durchführt. Hier werden die Küken mit den Beinen kopfüber eingehangen um die Prozedur zu vollziehen. Bei Moschusenten wird am häufigsten eine kalte Zange oder ein kaltes Messer verwendet. Hilft diese Methode nicht um das Picken gänzlich einzustellen, werden die Enten im Dunkeln gehalten – oft bis zum Tag ihrer Schlachtung.

Fotos von Kupieren, dem Kupierautomat und weitere Infos zu den anderen Praktiken gibt es auf der Seite der Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Tierhaltung e. V.

3. Schlachtung

Die Betäubung in Deutschland ist laut Max Rubner Institut bei etwa 1% der Schweine fehlerhaft. Im Jahr ergibt das eine halbe Million Schweine, die oft bei vollem Bewusstsein in die Brühwanne kommen und dort qualvoll sterben.

Aus Österreich ein schriftlicher Bericht über die Vorgänge in zertifizierten und kontrollierten Schlachthäusern


Fortsetzung folgt…


„Good food bad food – Anleitung für eine bessere Landwirtschaft“

Ein neuer Film über Lebensmittel und Agrarindustrie hat diese Woche Premiere in Deutschland.
Trailer und Infos zu der französischen Produktion gibt es hier: http://www.goodfood-badfood.de/
Zu den Veranstaltungen gibt es Prodiumsdiskussionen und Gesprächsmöglichkeit im Anschluss an die Vorführung. Sicher wird der Film auch in deiner Stadt gezeigt.
Hier ein Bericht von SWR

 


Die Nachfolger der Müslis…

… und das Genussmittel Fleisch

„Müslis“ wurden sie genannt, die Streiter der letzten großen Vegetarierwelle im Zuge der 68er-Revolution. Anders wollte man es machen, gesellschaftlich, politisch und vor allem anders als die Elterngeneration, als die Teilhaber der „Fresswelle“ nach Kriegsende. Seit dieser Zeit eher eine marginale Subkultur, wurden alternative Ernährungsformen die letzten Jahre salonfähig. „LOHAS“ ist die neue Müsligeneration jetzt betitelt. Der neugewandete „Lebensstil für Gesundheit und Nachhaltigkeit“ (Lifestyle Of Health And Sustainability) ist jedoch nicht mehr partout konsumfeindlich – was Vertreter der traditionellen Umweltbewegung dann doch wieder als getarnten Konsumismus entlarven.

Knapp 8 Prozent der deutschen Bevölkerung ernähren sich laut dem Vegetarierbund vegetarisch. Die Nationale Verzehrsstudie II von 2007 im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ermittelte 4 Prozent der Bevölkerung mit besonderer Ernährungsweise, darunter die größte Gruppe der Vegetarier mit 1,6 Prozent.

„Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg“

Fleischproduktion und -konsum ist ein Luxus, den sich hauptsächlich Industriestaaten leisten. Für mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung ist die Nahrungserzeugung über den Umweg Fleisch zu teuer. Ökologisch gesehen dazu auch noch Trinkwasserverschwendung.
Eher selten beleuchte ist der Aspekt der Globalisierung, der auch die Nahrungsmittelbranche nicht verschont: Vom Rinderimperialismus in Argentinien über die urwaldfressenden Masthühnchen Europas – deren Kraftfutter auf gerodeten Flächen angebautes Soja enthält – bis zu schweizerischen Getreideimporten aus Indien, wo immer noch 200 Millionen Menschen hungern. Da kann man diesen Spruch nicht mal mehr als Witz auffassen. Auf Indien bezogen würde also eher passen: „Das Essen der Fleischesser isst Getreideessern die Lebensgrundlage weg“.

Wichtigster Aspekt der meisten Gemüseesser ist jedoch die Ablehnung von Erzeugung, Mästen und Töten von Tieren zu Ernährungszwecken. Die Argumente der Kostverächter sind den meisten bekannt. Die Frage, warum sie selbst trotz dieser, offensichtlich vernünftigen Argumentation dem Fleisch nicht abschwören, können viele nur mit ratlosen Blicken oder abgedroschenen Phrasen quittieren. Steckt da noch mehr dahinter?

Die Front der Fleischkonsumenten

Fleisch war einmal ein Nahrungsmittel. Nahrungsmittel bedeutet, dass es vorwiegend der Ernährung dient, in Abgrenzung zum Genussmittel, das weniger wegen seiner sättigenden Eigenschaften sondern seinem Geschmack oder seiner Wirkung wegen konsumiert wird. Bezeichnungen wie „Nahrungsmittel“ oder „Genussmittel“, die einen Art Rangordnung unter Lebensmitteln herstellen, sind kulturbedingt. Am deutlichsten wird das klar am Beispiel des deutschen Grundnahrungsmittels: Brot. Was den Deutschen das Brot ist, ist den Thailändern der Reis und den Mexikanern der Mais. Dass Fleisch also eine höhere Wertigkeit und Nahrhaftigkeit als beispielsweise Gemüse zugeschrieben wird ist historisch gewachsen.

Quelle wikipedia commons
Fleischkarte von 1916

Dass Fleisch heutzutage dem Genuss dient ist ersichtlich an der Art wiei es beworben wird. Sowohl Metzgereien als Hersteller wie der Handel als Anbieter nutzen die Assoziation mit Belohnen, oder einem ganz besonderen Anlass wie Feste oder Feiertage. Es ist ein Genuss dieses Fleisch zu essen. Faktisch tuen es viele Deutsche täglich.

Überraschend ist, dass in vielen Diskussionsforen, die Ernährung zum Thema haben, immer noch regelmäßig gefragt wird, ob Mensch ohne Fleisch leben kann. Diese hartnäckige Vorstellung, Fleischverächter würden leiden, krank werden und schließlich eingehen wie ein Primelchen, gibt es solange es die vegetarische Alternative gibt. Die Existenz zahlloser Vegetarier unter uns und Millionen von Indern in der Ferne, die sich aus religiösen Gründen vegetarisch ernähren, kommt dieser Angst nicht bei. Mehrfach in Studien belegt ist, dass die Idee Humbug1 ist, Vegetarier sogar gesünder leben und weniger an Übergewicht leiden.

Lange war auch wissenschaftlicher Konsens gesunde Ernährung bedinge Fleischkonsum. Mittlerweile raten auch die Hüter der gesunden Kost, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), zu einer „vegetarischen Dauerkost“. Fleisch als Eisen und Proteinlieferant ist längst substituierbar.

Ein paar Werte zum Vergleich (Bundeslebensmittelschlüssel):
Protein(g)/Eisen(mg) pro 100 g
Schweineschnitzel 22/1,7
Rinderfilet 21,2/2,3
Hähnchenbrustfilet 23,55/0,5
Sojabohnen 11,9/3,1
Linsen 23,5/7,5
Spinat 2,52/4,1
Feldsalat 1,84/2 weiterlesen