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Sind wir nicht alle ein bisschen… rechts?!

In den letzten Wochen ging es wirklich rund. Im fränkischen Vorra wurde ein Asylbewerberheim in Brand gesteckt und mit Hakenkreuzen beschmiert und der Zulauf an Sympathisanten für PEGIDA (ein fantasievolles Akronym für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) scheint nicht zu enden. Was ist nur los am rechten Rand?

Ach, wie erfrischend war diese Limonadenwerbung in den 90er-Jahren. So schön konnten wir uns damit identifizieren, alle ein bisschen „bluna“ zu sein. Dieses „Anderssein“-Wollen nicht nur in diesem Werbespot steht symptomatisch für ein Charakteristikum der Moderne: die Individualisierung, die Fokussierung auf den Einzelnen, die Kultivierung des Egozentrimus. Da drängt sich die Frage auf, ob es PEGIDA-Demonstranten auch nur um ihre eigene Haut geht, oder wirklich um den Schutz des bedrohten Abendlandes.

Das genauer zu betrachten, dafür müssen wir das Phänomen zerlegen. Erst einmal ist mir die besonders sperrige Wortwahl aufgefallen. „Patriotisch“ scheint ein Wort zu sein, was mit Amerikanern, Franzosen, ja scheinbar mit so ziemlich jeder anderen Nation auf der Welt verbunden werden kann, nur bitte nicht mit Deutschland! Ja, das wurde tatsächlich so wahrgenommen. Die Deutschen bemühten sich als „Tätervolk“ nach dem Zweiten Weltkrieg unermüdlich, eine „moderne“, liberale Gesellschaft zu werden. Das Wirtschaftswunder und die Exportweltmeisterschaft machten es uns einfach, die Bestätigung und Achtung der restlichen Welt über wirtschaftlichen Wohlstand und industrielle Vormachtstellung zu erlangen. Nur, der Begriff  „deutsch sein“ blieb ohne Inhalt. Eine Worthülse, die wir nicht füllen konnten. Der Patriotismus anderer Nationen erschien uns befremdlich und übertrieben… bis zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Das Sommermärchen brachte nicht nur ein völlig neues Marktsegment hervor (das der Fanartikel in den deutschen Nationalfarben), sondern taute auch die Herzen der Generationen auf, für die die Kriegsverbrechen und das zwanghafte Schuldmantra in der Vergangenheit liegen. Auch schwenkten viele die deutsche Flagge, die Nachkommen von Immigranten sind. Nach nur weiteren acht Jahren, einer Europameisterschaft und einer weiteren Weltmeisterschaft mit Titel, ist es nun breit anerkannt Flagge zu zeigen. Ein bisschen Patriotismus schadet schließlich nicht.

Das nächste Wort, was mich ansprang wie eine rote Warnleuchte war „Islamisierung„. Nicht nur, dass dieser Begriff häufig auf einer Seite des parteipolitischen Spektrums benutzt wird (und auch noch viel weiter „rechts“ von diesem), ist er für mich die Verkörperung dessen, was wir an vielen Brennpunkten der Welt beobachten können: die religiöse Aufladung von politischen Konflikten. Bestes Beispiel ist hier der Nahost-Konflikt. Es geht schlicht um Landansprüche. Der Anspruch darauf wird religiös gerechtfertigt. Die jeweiligen Vorgehensweisen religiös gedeutet und untermauert, so zum Beispiel durch die Glorifizierung des muslimischen Märtyrertodes von palästinensischen Attentätern, oder die rigide Wasser- und Arbeitspolitik an den Rändern israelischer Siedlungsgebiete.

Und schließlich dieser Begriff „Abendland“, der als ein Pendant zu „Morgenland“ ständig einen unterschwingenden Hauch von Orient und Tausend und einer Nacht mit sich trägt. Beziehungsweise das Gegenstück dazu: rational, aufgeklärt und „entzaubert“. Das letzte Mal würde dieses Wortpart gesellschaftspolitisch und medienwirksam ausufernd am Ende der 90er-Jahre diskutiert, in Folge von Samuel Huntingtons Werk Clash of Civilisations and the Remaking auf World Order (1996, ins Deutsche unpassend als Kampf der Kulturen übersetzt). Er teilt die Welt in Kulturräume ein, darunter westlich und islamisch, und tut dabei nichts anderes, als eine alte Dichotomie von Orient versus Okzident wieder zu aktivieren. Alt ist diese Idee, weil die Bedrohung durch die Muslime als traumatisches Bedrohungserlebnis fest im kollektiven Gedächtnis der Europäer verwurzelt ist (711 – 1492: Al Andalus – Teile von Europa unter muslimischer Herrschaft (die Iberische Halbinsel); 1529: Erste Belagerung Wiens durch die Türken; 1683: Zweite Belagerung Wiens durch die Türken). Im gleichen Jahrzehnt wie Huntingtons These erstscheint die Bluna-Werbung, die uns zeigen wollte, dass wir alle etwas seltsam sind, auf unsere je eigene Art und Weise, aber doch etwas gemeinsam haben: eben dieses seltsam sein.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Was ist nun faul im Staate Deutschland? Geht es hier am Ende mehr um ein politische oder soziales Problem, was religiös aufgeladen wird? Ein Anhaltspunkt dafür ist wohl, dass sich die Angst vor einer „Islamisierung“ nicht nur gegen Muslime richtet, sondern gegen Immigranten generell. Dabei ist wohl egal, ob es sich um Sinti und Roma vom Balkan handelt, um Flüchtlinge aus Kriegsregionen oder die Nachkommen von Einwanderern in der zweiten, dritten oder bereits vierten Generation. Es scheint, als richte sich der Begriff gegen eine Ansammlung von gesellschaftlichen Realitäten, die einem Teil der deutschen Bevölkerung (in der Diskussion über PEGIDA häufig als „bürgerliche Mitte“ oder „Nazis in Nadelstreifen“ bezeichnet) befremdet, ihm sogar regelrecht Angst macht.

Die politische Seite reagiert mit scharfer Abgrenzung. PEGIDA sei „die Schande Deutschlands“. Dies allerdings klingt mehr nach einem Lippenbekenntnis. Immer wieder wiederholte Mantras der „Liberalität“, „Toleranz“ oder offenen Asylpolitik sind leider nichts anderes als nettes Polit-Marketing. Die Taten unserer Regierenden sprechen leider eine andere Sprache. A propos Sprache… zu der äußerte sich eine bayerische Tochterpartei der CDU jüngst erst mit der Forderung auch „in der Familie deutsch zu sprechen“. Zu Beginn des Jahres auf ihrer Klausurtagung formulierte der bayerische Ministerpräsident ganz salopp „wer betrügt, der fliegt“ als Slogan um Armutszuwanderung aus anderen EU-Staaten zu begegnen. Die politische Welt scheint eine tief gespaltene Persönlichkeit zu haben. Auf der einen Seite wird medienwirksam das gesagt, was die politically correctness erwartet. Auf der anderen Seite scheut man sich nicht davor, auch Vorhaben zu unterstützen, die in ihrer Konsequenz genau das Gegenteil bedeuteten: Erhalt oder Verschärfung von sozialer, politischer und menschlicher Ausgrenzung von Menschen fremder Herkunft, so zum Beispiel die dieses Jahr neu geregelten Zuwanderungsregelungen, die Armutsmigration verhindern sollen. Dazu ist zu erwähnen, dass wir hier von Prozentpunkten im unteren einstelligen Bereich reden. Häufig sind es Sinti und Roma, die aus den Ländern Bulgarien und Rumänien kommen. Warum? Weil sie wirklich auch dort nicht mehr als den Dreck unter ihren eigenen Fingernägeln beitzen und weil sie wirklich dort ausgegrenzt und diskriminiert werden. Auch diese Aktion aktiviert ein altes Stereotyp: das des seit dem 15. Jahrhundert bekannten Begriffs „Zigeuner“. Ja, das sind die Landstreicher, ohne festen Wohnsitz, die keinen Beruf haben, ihren Lebensunterhalt mit Klauen verdienen und unehrlich sind. Auch wenn Sinti und Roma Eigenbezeichnungen sind und diese Konnotation nicht haben, so bezeichnet der Begriff doch die gleichen Menschen… und die sind im kollektiven Gedächtnis immer noch so vorurteilsbehaftet, ähnlich wie der bedrohliche „Muselmann“.

Sollten wir uns Sorgen machen?

Ein Bekannter von mir erwähnte in einem Gespräch mit mir zum Brandanschlag von Vorra die Vermutung, es könnte sein, dass es gar nicht „Nazis“ waren, die das Asylbewerberheim angesteckt hätten. Vielmehr gewöhnliche Ortsansässige, die einfach keine Asylbewerber dort haben wollten. Hakenkreuzschmierereien als allzu plattes und eindeutig assoziiertes Symbol, seien nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. Was wäre wenn, das wirklich zutrifft? Ist dann die „Mitte der Gesellschaft“ rechtsradikal? Oder ist der Rechtsextremismus jetzt zum Mainstream geworden? Am Ende frage ich mich, ob vielleicht die allzu starken und verurteilenden Begriffe den Blick vernebeln, auf den eigentlichen Gemütszustand dieser „bürgerlichen Mitte“.

Edmund Stoiber meint, es würde ein Großteil der Demonstranten aus Angst mitlaufen. Aha. Aber warum dann nicht auf einer Demonstration für einen angemessenen Mindestlohn? Oder für mehr direkte Demokratie? Oder gegen Waffenexporte, die GEZ, gegen die Autobahnmaut oder höhere Renten. Irgendwie scheint PEGIDA alles ein bisschen zu sein und doch nichts. Oder doch am Ende etwas „bluna“? Nein, dumm oder verrückt sind diese Menschen nicht. Wer das behauptet, nimmt das Brodeln in der Gesellschaft nicht richtig wahr, er unterschätzt es. Was natürlich etwas kurzsichtig anmutet, ist die offen bleibende Frage, warum diese Menschen das, was sie fordern und vertreten, nicht mal zuende denken?

Ohne Menschen mit Migrationshintergrund, hätte Deutschland ein Viertel weniger Einwohner (also knapp 20 Millionen weniger). Dass Einwohner mit Arbeitskraft und dadurch auch mit Wohlstand (durch BIP gemessen) korreliert, ist bekannt. Zahlenbasierte Fakten zählen scheinbar weniger, als ein diffuses Gefühl der Bedrohung, der Benachteiligung und der Zukunftsangst.

Fischen am rechten Rand – ist das auch nur Demokratie?

Merkmal einer Demokratie ist, dass in ihr ach das volle Spektrum von Meinungen, die innerhalb gesetzter Grenzen (Grundgesetz) bleiben, einen Platz und ein Recht haben. Also auch die Meinungsäußerungen, die ihr Unwohlsein und ihre Befürchtungen bezüglich einer „Islamisierung“ Europas fürchten. Das unklar ist, was unter diesem diffusen Begriff verstanden werden soll, haben wir oben schon gesehen. Es zählt offenbar viel mehr der Charakter als „Kampfbegriff“, der ihm anhaftet, als sein wirklicher Inhalt, also das was er meint, kritisiert und wofür er bestenfalls einen Gegenentwurf enthält.

So spricht die mitte-links gerichtete Politik nach einer langen Diskussion endlich klar und deutlich von Deutschland als einem Einwanderungsland und einer Willkommenspolitik, während sie auf EU-Ebene federführend dafür ist, die Außengrenzen der EU abzuschotten und Flüchlinge lieber absaufen zu lassen. Ja, sogar Milliarden an Nachbarländer in Nordafrika zu zahlen, um unüberwindbare Zäune zu errichten und Flüchtlinge mit dem Ziel Europa einzuschüchtern, einzuknasten, abzuschrecken. Das dies auch mit Mitteln geschieht, die gegen die UN-Menschenrechtskonvention verstoßen, ist kein Geheimnis.

Innenpolitisch machen Parteien gegen ihren Gegner AfD vom rechten Rand Stimmung, indem sie ein härteres Vorgehen gegen Sozialbetrüger fordert. Also die Menschen, die vor Armut aus den EU-Ländern, denen es nicht so gut geht wirtschaftlich, in die Länder fliehen, die die Wirtschaftskrise scheinbar unbeschadet überstanden haben. Also aus Portugal, Spanien, Rumänien, Griechenland und so weiter nach Deutschland, zum Beispiel. Hm. Und wohin deportieren wir dann die deutschen Sozialschmarotzer? Zum Beispiel die Politiker, die auf Steuerzahlerkosten ihren halben Verwandtenkreis angestellt haben, nebst Ehefrau und Kindern? Oder wohin exportieren wir die Islamisten, deren Vorfahren über Generationen „deutsch“ sind und die, bevor die sich Abu irgendwie nannten, einfach Hans Müller hießen?

Es scheint, wie ein ewiger Wahlkampf, in dem die Parteien versuchen, die wegschwimmenden Felle aufzuhalten. Die CSU/CDU hat Angst vor Wählerflucht zur AfD, die SPD verliert an die Linken, die Grünen mal wieder zu allen Seiten hin. Da schmückt es sich wohl grade am mitte-rechts Rand schön mit undifferenzierten Parolen, bei denen viele Bürger in einem politik-komatrösen Zustand leicht ins Nicken einstimmen. Am Ende bleibt der fahle Beigeschmack, dass es doch nur ein bisschen um bluna-Egoismus der Regierenden und Machthungrigen geht, als um die tiefergehenden Fragen unserer Gesellschaft die dringend debattiert und angegangen werden müssten: um Menschlichkeit gegenüber Flüchlingen, um Umgang mit dem eigenen Wohlstand (gesamtgesellschaftlich gesehen) und dem Armutselend vor der Haustür der EU, mit der Frage, wer wir Deutschen sind und was „deutsch“ überhaupt ist und natürlich wie wir mit Umbrüchen um gehen.
Den Umbrüchen, die ihre Folgen aus der Geschichte bis ins Jetzt tragen (Drittes Reich, Antisemititsmus, Arbeitsmigration, usw.) den Umbrüchen, die wir gerade erfahren (Wirtschaftskrise, Armutsflucht, Migration aus Krisengebieten, wachsende soziale Kluft, usw.) und den Umbrüchen, die uns in der Zukunft fordern (Migration aufgrund des Klimawandels, Verschiebung der globalen Wirtschaftsmacht, vielfältige multikulturelle deutsche Gesellschaft, die nach ihrer Identität sucht).

 

 

 

 

 


Kein Asyl für Eisbären

Wieviel ist ein Eisbär wert? Monitär lässt sich dieser Wert ausdrücken durch seinen Einkaufspreis, seine Haltungskosten und den Anteil am Verkauf von Eintrittstickets in den Zoo. Bei frei lebenden Bären, sieht die Sache jedoch etwas anders aus. Bären gehören zu den größten Raubtieren an Land. Auch wenn sie für gewöhnlich eher in kaum besiedelten Gebieten leben, kommt es in Island in den letzten Jahren immer wieder zu Zusammentreffen.

Abenteuergeschichten der Auswanderer nach Amerika, die Indianer überwältigten und in weitläufigen Gebieten wilden Bären begegneten, sind Teil amerikanischer Erzählkultur. In diesem aktuellen Fall ist es nicht der moderne Mensch, der neues Territorium erobert und die wilde Natur bezwingt. Diesmal wandern die Eisbären mehr oder weniger freiwillig aus – nach Island.

Wo in Zentraleuropa für „Problembär“ Bruno Fernsehgesprächsrunden abgehalten wurden und Bruno-Freunde zu Demos aufriefen, scheint das Verfahren mit den weißen Riesenteddys in Island weniger diskussionswürdig zu sein. Diskussionsfreier Abschuss ist die schlichte Universallösung für hellbepelzte Gestrandete auf dem Inselstaat. Dabei gab es eigentlich gar kein Problem, außer das hypothetische Vorbeiwandern einiger Touristen am ausgehungerten Tier. Dieser Snack des Eisbären wäre wohl ein kleiner GAU für Islands Tourismus. Island befindet sich in einem Zustand, den es bis vor kurzem auch nur hypothetisch gab – den Staatsbankrott. Geld für einen Problembär ist hier knapp. Betäuben und Rückführen? Bärenreservat für tierische Grönlandflüchtlinge? Alles zu teuer.

Stumpfsinn zahlt sich nicht aus

Sollte allerdings die Abschusspraxis bei den Medien guten Aufwind erhalten, könnte das Island auch schaden. Bekanntlich sind die Deutschen mit ihrem Tierschutzgesetz, gemessen an ihren Nachbarn, sehr tierlieb. Sie sind sehr beliebte Urlauber auf der nordischen Insel. Außerdem war da ja schon mal so ein Problem: der Walfang schreckte merklich Touristen ab.

Schon hier wird deutlich, dass die monitäre Aufrechnung aus einer Formel mit vielen Platzhaltern besteht. Ein bestimmter Zahlenraum begrenzt die möglichen Kandidaten wohl etwas. Aber dann gibt es auch noch unbekannte Faktoren, die sich unter Umständen gar nicht auflösen lassen. Auch wenn sie oft unbemerkt als ewig unbekannter Faktor in der Gleichung mitgeführt wird, ist sie doch da: die Frage, ob dieses klare Praxis ethisch zu rechtfertigen ist und am Ende nicht doch das Problempäckchen vor die eigene Haustür trägt.

Immer mehr Eisbären stranden auf Island: Behörden greifen zum Gewehr – taz.de


Die Neuordnung der Welt – Qantara.de

Verlauf und Ausgang der Umbruchprozesse in der arabischen Welt sind noch offen. Doch bereits heute zeichnet sich ab, wer in der Region zu den Aufsteigern gehören wird – und wer eher nicht. Vor allem die Türkei dürfte einen Zuwachs an politischem Einfluss erleben. Eine Analyse von Volker Perthes

Die Neuordnung der Welt – Qantara.de


Klonen kann sich lohnen

„Klonen kann sich lohnen“, singt Max Raabe frech. Außer für den Privatgebrauch, den der Sänger melodisch lobt, ist die Fortpflanzungsmethode auch richtig gewinnbringend. Für wen, ist allerdings noch die Frage.

Die Amerikaner sparen sich – wenn man so will – die mühevolle Tierzucht. Schließlich lässt sich Bullensperma viel leichter aus Europa importieren und das erzeugte Prachttier zur Weiterzucht dann einfach klonen. Zu deutscher Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit passt es gut, dass als passioniertes Hobby auch die systematische Optimierung von Genmaterial sehr beliebt ist. Planzen, Tiere, Fahrzeuge, Häuser … alles mögliche kann optimiert werden. Dabei bleibt die Mehrheit der Deutschen ethisch konservativ und lehnt klassisches Klonen im Lebensmittelbereich vorerst ab.

Davon profitieren die Amerikaner. Einen hervorragenden Genpool stellt ihnen Europa zur Verfügung, die Technologie macht ihn uramerikanisch. Denn kein Volk auf dieser Erde ist so klonbegeistert. Hobbyzücher und Haustierliebhaber lassen ihre Lieblinge bereits klonen. Deren geliebte Eigenarten lohnen sich scheinbar für die Nachwelt erhalten zu werden. Aber eigentlich in erster Linie für die Menschlein selbst. Dabei wird allerdings aus dem so besonderen Tier, dass einem/r ans Herz gewachsen ist, eine Duplette. Es handelt sich wohl um serielle Haustierliebe, die auch nicht weit von pathologischen Zügen entfernt zu sein scheint, oder zumindest heillose Überschätzung der menschlichen Stellung im Ökosytem offebart.

Es ist (noch) zu teuer allein für die Fleischproduktion Tiere zu klonen. Daher wird die Methode vorgeschaltet und das gute, gewinnbringende Erbmaterial von hochwertigen Zuchtbullen wird durch ihre Klon-Kopien weiterhin verkauft. Biologisch ist Klonfleisch ganz normales Fleisch. Warum sollte es also dafür eine Kennzeichnung geben? – dachten sich die Amis und machten allen anderen Nationen damit Probleme. Mit diesem Kniff mussten sich alle Staaten, die in Handelsbeziehungen mit Amerika standen und noch stehen, irgendwie mit dieser Position anfreunden. Zu vermeiden wären Klonnachkommen im eigenen Land nur, würde jeglicher Fleisch- oder Fleischerzeugnisimport aus den USA gestoppt. Das wäre ein ökonomischer Super-GAU. Die USA sind unter den Top-Drei Handelspartnern Deutschlands. Ziemlich asoziales Verhalten legt die Weltpolizei in diesem Punkt an den Tag. JedeR ist sich wohl doch der Nächste. Es ergibt sich die Frage: Wo fängt globale Solidarität an und fällt Beschneidung eigener (interner) Handlungsstrategien darunter?

Wie sollte Deutschland oder die EU andererseits eine Kennzeichnung verordnen, wo dies gar nicht möglich ist? Wo Fleisch drauf steht, ist laut US-Züchtern auch Fleisch drin. Mehr braucht es nicht. Eine Kennzeichnungspflicht in Europa würde die USA dazu zwingen ihre eigene Handhabung von (Nicht)Kenntlichmachung anzupassen um überhaupt eine Etikettierung möglich zu machen. Denn biochemisch untersucht werden kann die unterschiedliche Herkunft bezüglich Cloning nicht. Diese Unterscheidung von Fleisch in den USA wäre auch für die Amerikaner selbst ein politisches Statement. Und dieses passt sicher nicht mehr zu deren Lieblingsthese vom „ganz normalen“ Klonfleisch. Und auch nicht zum Image des wirtschaftlichen Global Leader.

Es bleib den EU-Ministern also ganz wirtschaftspraktisch gar nichts anders übrig, als die Kennzeichnung von Kopie-Fleisch abzulehnen. Es geht aber nicht nur um einen Mikro-Makro-Konflikt – nämlich globale Handelspolitik versus gesundheitliche Bedenken der Einzelnen – sondern auch um einen Ideologienkonflikt. Auf der einen Seite steht eine mechanistische Weltauffassuung, die Gene und Leben auf diesem Planeten methodisch erfasst und systematisch abändert. Ziel dabei ist auch die Optimierung und Effizienzsteigerung auf den Menschen bezogen, was oft mit Vorteilen für das Kollektiv begründet wird. Das ist Kulturoptimismus.

Auf der anderen Seite steht das ethische Individuum, dass diese Denke ablehnt. Vielleicht, weil sie die Nachfolger des Pantheismus sind oder als Teil von einer neuen „Green Religion“. Bei einigen kann man sicher von Kulturpessimisten sprechen. Diese Haltung ist wohl eine sichere Position. Sie schützt vor Enttäuschung jedoch nicht von Irrtum. Bei der Debatte der Kennzeichnungspflicht für Klonfleisch in Deutschland geht es also nicht nur im Verbraucher und Verbraucherministerium, sondern um Weltpolitik und nicht am Ende um die Frage wie sich die Völker auf globaler Ebene untereinander und zueinander verhalten sollen.

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Verfolgung einer Tomate

Bio – prima für’s Klima! Oder doch nicht?

Ich war heute bei Tengelmann einkaufen. Wenn es schnell gehen soll, dann ist das der nächste Markt in der Nähe. Was ich an Gemüse gekauft habe, war alles Naturkind – die Hausmarke von Tegelmann und bio-zertifiziert. Aus Interesse, wo denn die sechs akkurat in ein Plastikschälchen gequetschten Tomaten herkommen, habe ich mich auf die Suche begeben.

Die Tomaten sind aus Spanien, aus Almeria, und zwar hier:
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Das Plastikmeer an Gewächshäusern ist sogar aus dem Weltall zu sehen

Foto von einem Sateliten der NASA

Wie man sieht, kommen meine Tomaten aus dem Mar del plastico, dem Plastikmeer. Sie haben eine Fahrtstrecke von über 2.600 Kilometern und eine reine Fahrtzeit von 21 Stunden hinter sich, bis sie in meiner Region sind.
Wie sie wachsen, kann man beim Produzenten Biosabor in einem Video auf der Homepage begutachten. Ganz neue Nachrichten gibt es zu dem Unternehmen. Es erhielt am 20. Januar einen EU-Zuschuss über 207.000 Euro für Bau von Lagerstätten, Gefrier- und Kühlmöglichkeiten, nachdem es schon zuvor einmal 162.500 Euro erhalten hatte. Die Region ist sehr stolz auf Francisco Belmonte, den Leiter des Unternehmens, da er Vorreiter des biologischen Anbaus in dieser Umgebung ist. Der Umsatz lag 2010 bei 8.000.000 Euro. Es wird 2011 mit einer Steigerung um 30 Prozent auf etwa 11.000.000 Euro getippt. Es werden jährlich circa 10.000 Tonnen ökologische Tomaten produziert.

Im Januar 2010 war die Zentralschweizer Gemüseproduzenten in Spanien unterwegs und besuchten auch BioSabor. Hier ihr Eindruck:

BioSabor

Die im Jahr 2008 gegründete Firma BioSabor stand am letzten Tag auf dem Besuchsprogramm. Die Firma BioSabor ist ein Familienbetrieb der auf 30 ha biologische Tomaten anbaut. Der gleichen Familie gehört auch die Firma Nijarsol. Nijarsol produziert auf einer Fläche von 70 ha konventionelle Cherry-Tomaten und Rispentomaten. Um den Betrieb zu diversifizieren wurde im Jahr 2008 der Bio-Zweig gegründet.
Die Hauptmengen der konventionell und biologisch erzeugten Tomaten sind für den englischen und deutschen Markt bestimmt. Ein kleiner Anteil von 3% der biologischen Produkte findet seinen Weg auch auf den Schweizer Markt. Alle besuchten Betriebe hinterliessen einen sehr guten Eindruck. Die verschiedenen Qualitätsstandards wie z. B. GlobalGAP werden glaubhaft umgesetzt. Abfallhaufen hinter den Gewächshäusern, wie noch vor ein paar Jahren, waren nirgends mehr zu sehen. Was besonders aufgefallen ist, dass auf den Betrieben nirgends Personen bei der Arbeit zu sehen waren. Der Personalbedarf von 2 – 3 Personen pro Hektar Gewächshausfläche liegt deutlich tiefer wie in der Schweiz, wo mit 5 – 6 Personen pro Hektar gerechnet wird. Die Personalunterkünfte die uns gezeigt wurden, konnte man nur als fürstlich bezeichnen, doch hat dies sicherlich nicht der Regel entsprochen. Die Produzenten in der Provinz Almeria gehen etwas unsicheren Zeiten entgegen. Hauptsorge ist sicherlich die starke Konkurrenz aus dem Billigstlohnland Marokko, aber auch die Wasserversorgung bereitet Probleme. Durchschnittlich werden für ein Hektar Gewächshaus täglich 30 m3 Wasser benötigt, das wären bei den 36.000 ha Fläche in El Ejido täglich etwa 1.1 Millionen Kubikmeter Wasser, eine fast unvorstellbare Menge.

Hans Kling, Strickhof Fachstelle Gemüse, Januar 2010 auf strickhof.ch

Quelle: wikicommons/Goldlocki

Tomaten im Gewächshaus auf Steinwolle

Mein Tomatenhersteller produziert also biologisch und konventionell.

Die Anbaugebiet Campo de Nijar, aus dem meine Tomaten kommen, das ein Nachbargebiet von Campo de Dalías ist, kommentiert der Diercke Weltatlas so:

Grundsätzlich bleibt den Bauern nicht allzu viel von dem Verkaufserlös. Die Preise werden von den Handelskonzernen bestimmt. Den Bauern bleibt nur ein Zehntel von dem, was über dem Verbraucherpreis verdient wird.
Umweltbelastung durch Sonderkulturen
In den Aktivräumen an den Küsten hingegen übte diese Entwicklung einen enormen Druck auf die Naturreserven Wasser und Boden aus; zugleich führte der Anbau in den Gewächshäusern zu hohen Umweltbelastungen. Für die Wasserversorgung im Campo de Dalías werden heute fossile Wasservorräte aus 100 Metern Tiefe gefördert. Auch aus den Bergen nördlich des Gebiets wird Wasser aus dem Staudamm Benínar in die Anbaugebiete geleitet. Das Wasserdefizit in der Versorgung beträgt rund 50 hm³ pro Jahr. Um die Grundwasserreserven nicht weiter zu belasten, wird heute das Bewässerungswasser aufgefangen, recycelt und wiederverwertet. Auch gereinigtes Abwasser und entsalztes Meerwasser, das in der Meerwasser-Entsalzungsanlage bei Balerma gewonnen wird, sollen den Grundwasserverbrauch reduzieren. Planungen, über Pipelines den Rio Ebro im Norden Spaniens anzuzapfen, sind zunächst wieder eingestellt worden.
Sonderkulturen benötigen eine intensive Düngung und haben einen hohen Bedarf an Agrarchemikalien. Der Eintrag von Pflanzenschutzmitteln in die Böden und die Auswaschung ins Grundwasser führen zunehmend zu einer Beeinträchtigung der Grundwasserqualität. Der Anbau in Monokultur sowie die heißen und feuchten klimatischen Bedingungen in den Gewächshäusern begünstigen den Schädlings- und Pilzbefall. Zusätzlich gelangen durch die „Solarisación“, die Bodendesinfektion unter Sonneneinwirkung, erhebliche Mengen an Pflanzenschutzmitteln in das Grundwasser. Bei dieser Methode werden die Böden mit Wasser durchtränkt und den Sonnenstrahlen ausgesetzt. Bei geöffnetem Gewächshausdach erwärmt sich die Bodenoberfläche bis auf 60 bis 70 °C. Diese Temperaturen reichen aus, um unerwünschte Keime abzutöten. Die Auswaschung von Düngemitteln zeigt sich in hohen Nitratbelastungen im Grundwasser. In den drei hydrologischen Einheiten des Campo de Dalías – Balerma-Las Marinas, Balanegra und Aguadulce – wurden Werte ermittelt, die mit mehr als 100 mg/l Nitrat weit über dem zulässigen EU-Grenzwert von 50 mg/l für Trinkwasser liegen.
Die Provinz Almería ist eine der trockensten Gegenden Europas und zugleich die am intensivsten bewässerte. Der hohe Wasserverbrauch in der Landwirtschaft beeinflusst auch die Wasserreserven in der Provinz. Das Grundwasser ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen und zudem versalzen. Der südliche Bereich des Aquifers Campo de Dalías wird seit 1995 offiziell als „übernutzt“ bezeichnet. Er ist damit einer von sechs Grundwasserbereichen der insgesamt 21 hydrologischen Einheiten in den Küstenbereichen von Spanien, in denen der Wasserverbrauch höher ist als das Grundwasser sich erneuern kann. Auch die beiden weiteren in Almería existierenden Gemüse- und Obstanbauzentren Campo de Níjar und Andarax-Almería weisen diese Defizite in der Wasserversorgung auf.

Meine Tomaten haben nicht nur das EU-Biosiegel (ein grünes Blatt aus Sternen, das keine Definition von Bioanbau gibt und generell mehr ein Vermarktungsticket für europäische Lebensmittel im Allgemeinen ist) sondern auch das deutsche Biosiegel, das bekannte Sechseck. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, das dieses Siegel in seiner Obhut hat definiert ökologischen Landbau wie folgt:

Der ökologische Landbau ist eine besonders ressourcenschonende und umweltverträgliche Wirtschaftsform, die sich am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert.

Es ist also ökologisch, Pflanzen in einer Menge anzubauen, dass von Monokultur zu sprechen ist?

Es ist ökologisch, diese Pflanzen in Plastik von ihrer Umwelt abzuschirmen und damit auch Nützlinge und Insekten von ihnen?

Es ist nachhaltig, den Boden und das Land einer ganzen Region mit Gewächshäusern zu versiegeln und viele Bemühungen zu unternehmen, diesen Boden unter den Gewächsen „keimfrei“ zu halten?

Es ist ökologisch, eine ganze Region mit Pestiziden und Düngemitteln so zu verseuchen, dass die Menschen die dort leben darunter leiden?

Es ist nachhaltig, wenn einer ganzen Region das Grundwasser abgepumpt wird, nachdem es mit Agrarchemie verunreinigt wurde, um dann das (wohl gemerkt nicht regenerierbare) Tiefenwasser zu fördern?

… und diese ganzen Prozesse sollen umweltschonend sein?

Die sozial-ökonomische Dimension mit Einsatz illegaler Einwanderer aus Nordarfrika als billige und rechteloses Arbeitskräfte ist bei den politischen Biosiegeln noch komplett außen vor. Es wird also weiter ausgebeutet.

Mein Fazit: Das deutsche Biosiegel ist nur in Verbindung mit zusätzlicher Zertifizierung durch einen Anbauverband (demeter, Naturland, Bioland, Biokreis, usw.) und/oder durch Kennzeichnung der sozialen Fairness (fairtrade o. ä.) vertrauenswürdig. Das EU-Biosiegel ist nicht das Etikett wert, auf dem es gedruckt ist.

Zum weiterlesen:

Wie kann man also die Situation verbessern? Wie die Handelskette transparenter machen, den Kunden besser informieren? Es gibt bereits Initiativen die diesen Bedarf erkannt haben und Gesicht zeigen: bio-mit-gesicht.de

Ökologisch und sozial sind die Anbauverbände mit ihren festen Lieferpartnern und eigenen Projekten.


Was ist eigentlich Nachhaltigkeit?

Einen kurzen Moment war ich begeistert und beeindruckt von der riesigen Werbeaktion von RWE die 2009 erstmals über meinen Bildschirm flimmerte. Gibt es da doch ein Umdenken? Hat der Wille zu einer Energiewende vielleicht endlich die Großen der Branche erreicht?  Spätestens seit RWE sich mit den anderen Stromgroßkonzernen 2010 öffentlich für die Verlängerung der Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke eingesetzt hat, kommen auch in den Letzten, die Vertrauen in die Ehrlichkeit und den Innovationswillen von Unternehmen hatten, Zweifel auf. Im Jahr zuvor noch hatte RWE von der Werbeagentur Jung von Matt die aufwendige Kampagne mit dem grünen Riesen kreieren lassen, die den alleinigen Erzeuger von jährlich 170.000.000 Tonnen CO² (20 Prozent des Gesamtausstoßes der BRD) als Wegweiser für erneuerbare Energien darstellte.

Die Assoziation des Unternehmens mit dem voRWEg trampelnden grünen Riesen ist gelungen. Die Rechnung für ein grünes Image, dennoch nicht aufgegangen.  Greenpeace antwortete auf den Spot mit bitterer Satire und realen Zahlen. So hat sich RWE mit seiner Aktion wohl eher in die Nessel gesetzt und den Verbraucher mehr misstrauisch als vertrauensvoll gestimmt.

In der Werbeindustrie gibt es eine Bezeichnung für diesen neuen Trend der Einzug in die Marketingabteilungen der Weltkonzerne gehalten hat: Green washing. Es stimmt, dass die Kernkraft zu ihrer Einführung eine Innovation besonderen Ausmaßes war. CO²-freie Energieerzeugung, saubere Luft, saubere Gewässer und so gut wie keine Belästigung für die Bevölkerung. Die Erzeugungsstätten unserer Energie wurden unsichtbar für die Mehrheit der Bevölkerung. Im Vergleich zu Kohlekraftwerken kann man Kernkraftwerke durchaus als nachhaltige Klimaschützer bezeichnen, allein die Atomgegner wollen das nicht so sehen. So haben es die Stromkonzerne nicht einfach gegen den Widerstand gegen die nicht risikofreie und auch endliche Energiequelle als nachhaltig wirtschaftende Unternehmen wahrgenommen zu werden.

So gut wie das Wort „Nachhaltigkeit“ zu Beginn des neuen Jahrtausends bei der Bevölkerung eingeschlagen hat, so sehr hat es seinen Inhalt verwässert. Ausgehöhlt und so ziemlich von jedem Unternehmen genutzt steht der Verbraucher wieder vor der Frage: Wer wirtschaftet wirklich „nachhaltig“ und wer kleidet seine eher halbherzigen Bemühungen nur in ein grünes Mäntelchen?

„Das Konzept der Nachhaltigkeit beschreibt die Nutzung eines regenerierbaren Systems in einer Weise, dass dieses System in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein Bestand auf natürliche Weise regeneriert werden kann.“ [Enquete-Kommission der Bundesregierung „Herausforderungen und Antworten“ 2002]

Mit dieser Definition als Basis ist RWE bereits ausgeschieden. Regenerierbarkeit ist weder bei Uran als Rohstoff – abgesehen von der Möglichkeit der Wiederaufbereitung – wie der Kohle nicht gegeben. Bedingung ist die Erhaltung des existierenden Systems, der Lebensgrundlage für uns und nachfolgende Generationen. Welches System die Bezugsebene darstellt ist freilich variabel und relevant. Für einen Kopf der italienischen Mafia wird es am besten für seine Nachkommen sein, das mafiöse System zu erhalten und die Position des Nachfolgers zu sichern. Der Mafiaboss denkt und agiert nachhaltig.
Zur Erhaltung unseres Wohlstandes in der ersten Welt ist es notwendig, dass uns billig zugearbeitet, billig produziert wird und ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen. Da eine gerechte Verteilung des weltweiten Einkommens zu einem Wohlfahrtsgewinn in Schwellenländern und der dritten Welt führen würde, würde unserer in Europa sinken. Kurz: wir müssten den Gürtel enger schnallen. Unter dem Prinzip der Nachhaltigkeit, in diesem Fall der nachhaltigen Erhaltung politischer Vormachtstellung des Westens zur Sicherung des Wohlstandes, ist das Agieren von amerikanisch kontrollierten Weltbank und protektionistischer EU die logische Konsequenz. Das von anderer Perspektive dies als ungerechte Unterdrückung, Erhaltung des Abhängigkeitsverhältnisses oder gar Neokolonialismus bezeichnet wird, ist ein andere Punkt. Ist das Bezugsystem eine lebenswerte Welt in der jeder Mensch die Menschenrechte uneingeschränkt zuerkannt bekommt, wird hier der Konflikt klar. Also was ist Nachhaltigkeit nun?

Klar ist in unseren Breitengraden, dass das Bezugsystem Ökologie und Soziales ist, oder: schütze die Umwelt, würdige die Menschen. Es hat hier nicht nur den Anschein, als wäre das bei den 68ern schon mal dagewesen. Warum fragen sich eigentlich so wenige Leute, warum das in Deutschland mittlerweile breite ökologische Bewusstsein in Frankreich kaum vorhanden ist? Noch weniger in Italien? Haben sich doch  diese Länder Europas ähnlich entwickelt, gegenseitig befruchtet und historisch – auf die ein oder andere Art und Weise – immer in engem Kontakt gestanden.

Deutschland hat eine Tradition als Konstruktionsstube globaler Technik. Das wird auch im Bereich der erneuerbaren Energien gefördert und gefordert. Ist nun dieses technische Denken, dass doch stark auf Effizienz ausgerichtet ist mit Nachhaltigkeit vereinbar? Eine lineare Denkweise ist eng verbunden mit einer Effizienzausrichtung. Wie löst man ein Problem am besten letztendlich in Luft auf?
Sieht man Zahlen der aktuelle weltweiten CO²-Produktion – vor allem der Industrienationen – im Vergleich zu den Werten, wie sie sein müssten, um die Folgen der Erderwärmung so gering wie möglich zu halten, kann man leicht von Hoffnungslosigkeit überwältigt werden. Der Verfahrenstechniker Prof. Dr. Michael Braungart meint: „Es ist nicht gut, weniger schlecht zu sein“ und kritisiert damit Zielrichtung von weniger Umweltbelastung des Menschen durch technische Neuerungen. Das käme der Vorstellung gleich nicht existent zu sein, dem Wunsch danach sich aufzulösen. Schließlich ist die Menschheit als Parasit des Planeten wahrgenommen. Es ist eine lineare Denkweise, wenn die EU Energie aus Müllverbrennung als erneuerbare Energie umetikettiert, denn das ist sie nicht. Plastik und andere Inhaltsstoffe sind für eine wiederholte Verwendung in einem Güterkreislauf unwiederbringlich verloren und es entsteht dabei hauptsächlich weitere Belastung für die Athmosphäre. Nachhaltig ist eine Bewertung von Gegenständen nach ihrem Nutzen. Es hat keinen Nutzen für den Menschen, wenn giftige Stoffe in Kleidung Allergien auslösen. Es hat keinen Vorteil, wenn Asbest in Autoreifen verboten ist, dafür aber ein anderer ähnlich schädlicher Inhaltsstoff zugesetzt wird. Die Bezugsebene muss von Effizienz auf Qualität verschoben werden.Schließlich ist nur giftfreies Plastik um uns herum die einzig gute Qualität.

Weniger ist nicht immer mehr. Das Ziel vieler Politiker scheint zu sein: Wie zügle ich die negativen Einflüsse auf unsere Umwelt und bremse dabei nicht die Wirtschaft aus. Ist Abstinenz der richtige Weg? Sicher ist, das dieses Verhalten nur über Ethik gesteuert werden könnte. Das dies ein mühsamer Ansatzpunkt ist, ist auch den meisten Altruisten klar. Vielleicht ist dies jedoch gar nicht nötig. Nachhaltiger als eine Selbstbeschränkung des Kaufverhaltens ist das gezielte Kaufen. Kauft der Kunde bei Firma xy, die sich zum Ziel gesetzt hat ihre Tintenpatronen zurückzunehmen und so weit wie möglich zu recyclen, ist dies nachhaltiger als das Unterstützen der Firma z, die lediglich für die Kosten der Sondermüllbeseitigung aufkommt (und schon das ist in manchen Branchen keine Selbstverständlichkeit).
Ziel ist eher ein zyklisches Denken, in dem der Mensch seinen Platz in einem natürlichen Kreislauf einnimmt. Nicht durch Ablehnung der Errungenschaften des technologischen Zeitalters, sondern indem der Mensch seine technischen Möglichkeiten zum Vorteil aller, sprich für die beste Qualität, einsetzt. Man denke an kompostierbare Verpackungstüten oder vollständig recyclebare Autos.

Nachhaltiges Handeln besteht also mehr als aus Mülltrennung und Bahn statt Auto. Nachhaltiges Handeln bedeutet anders denken. Nicht, wie kann der Mensch in dieser Welt leben ohne etwas zu verändern, ohne einen Faktor darzustellen, durch Verzicht und Verringerung des CO²-Fußabdrucks, sondern wie kann der Mensch in dieser Welt als Teil eines Systems leben und dieses als Kreislauf denken und erhalten.
Die Macht hat nicht die Politik, die mit ihren Alibisanktionen kaum etwas bewirkt und nicht die komplette Wirtschaftswelt mit Normen in Beton gießen kann. Leider nur zu oft verlässt sich der träge, obrigkeitsgläubige Deutsche auf den Staat. Der kann das Regeln, der Einzelne kann nichts ausrichten. Doch die Macht liegt beim Verbraucher, der entscheidet, ob er qualitative innovative Unternehmen unterstützt, oder sich nicht um das Gesamtbild kümmert. Eigentlich ist jedoch keiner von uns scharf darauf, seinen Kindern giftiges Spielzeug zu kaufen oder sich in schwermetallhaltige Kleidung zu kleiden.

Der Votrag von Prof. Dr. Braungart (Vortrag beginnt ab 4:50 Min)


Europas arme Schweine

Über Ferkelproduktion und Schweinemast zwischen Profit und Leistungsdruck unter deutschen Schweinebauern

„Massentierhaltung“, ein gar grausiges Wort, dass derzeit durch unsere Gesellschaft geistert. Dabei werden tausende Tiere auf engem Raum gehalten um möglichst schnell Schlachtreife zu erreichen. Dabei variiert die Mastdauer in Abhängigkeit von der Tierart, bei Hühnern rund 8 Wochen, sind es bei Schweinen etwa 6 Monate. Lange wurden Kritiker von den Agrarbetrieben nicht ernst genommen. Nun sind diese mehr und mehr unter Bedrängnis und schießen bisweilen auch gegen Tierschutzorganisationen wie beispielsweise die „Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt“.

anklicken zum Vergrößern; Quelle: Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt

„Mit dem Rad zur Arbeit, dazu regelmäßig frische Milch und ein gesundes Stück Fleisch, das wäre eine Frischzellenkur für Mensch und marode Krankenkassen. Scheinbar ist Herrn zu Wehdel – Präsident der Landwirtschaftskammer – entgangen, dass diese Erkenntnisse seiner Lobby, entsprechen nicht aber denen der Wissenschaft. Die“Deutsche Gesellschaft für Ernährung“ (DGE) empfiehlt maximal dreimal pro Woche eine angemessene Menge Fleisch und rät allgemein zu vegetarischer Ernährung. Die AGA hält gar eine vegane Ernährung für Menschen jeder Altersstufe für problemlos.

Lebenserwerb gegen Ideologie: Verhärteten Fronten

Die eigentliche Stoßrichtung waren wohl weniger Vegetarier. Bei dieser Verweigerungsgruppe ist wohl für Fleischproduzenten sowieso jede Hoffnung verloren. Viel mehr wird das Feindbild der radikalen Tieschützer bemüht. Ganz klar, Fleischverzicht tut mehr weh als schmerzloser Protest gegen nicht artgerechte Tierhaltung, sprich, der Konsument kann hier in einer Doppelrolle zum Gegner werden.
Zudem hat die angegriffene Oranisation in erster Linie gar nichts mit dem Veggiday zutun. Dennoch ist es im Sinne der Albert Schweitzer Stiftung, solche Aktionen zu unterstützen.Die Macher der Aktion „Veggiday“ grenzen sich sogar explizit von Tierschutzorganisationen ab um dem Ideologieverdacht zu entkommen. „Wir, die Initiatoren des „Veggiday in Bremen“, sind keine Vegetarier und wollen niemanden zum Vegetarismus bekehren, das sollen die Anhänger dieser Ernährungsform schon selber tun. Wir vertreten mit unserem „Veggiday“ auch nicht die Ziele von Tierschützern, die Fleischverzicht ausschließlich aus Tierschutzgründen propagieren.“ Anliegen sind in erster Linie Klima und Gesundheit. Hier erreicht die Debatte eine andere Ebene als die ideologische auf der sich Fleischlobby und Tierschützer traditionell bekämpfen. Es geht plötzlich um Themen, die eine breite Gesellschaft bewegen wie der Klimawandel. Ja, wenn es nicht gar um das Thema geht: Gesundheit.

Kühe versauen unser Klima

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) hat bereits 2006 einen Bericht über die langfristigen Folgen unseres Fleischkonsums vorgelegt („Livestock’s long shadow. Environmental issues and options“, Rom 2006). Darin ist dargelegt, das 13 Prozent der weltweiten CO²-Emissionen aus Verkehrs- und Transportwesen stammen, 18 Prozent aus Tierhaltung und Fleischkonsum.
Interessant an der Sache ist, dass die FAO den Bedarf an Ackerfläche zur Erzeugung von Fleisch und Milch durch erhöhten Pflanzenertrag kalkuliert. Das bedeutet entweder Tiere, die aus weniger Input (Futtergehalt) mehr Output (Milch und Muskelmasse) machen, oder Pflanzen, die dem Tier mehr Nährstoffgehalt anbieten. Das Friedrich-Loeffler-Institut in Braunschweig ist Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit Dieses hat hier neben optimierter Tierernährung auch Pflanzenzüchtung und Tierzucht durch Einsatz von „grüner Gentechnik“  (von Gegnern als „Genmanipulation“ bezeichnet), als Lösungsmöglichkeit angeboten. „Höhere Leistungen – Weniger Tiere“ und „Höhere Effizienz der Nutzpflanzen“ bringt es als Schlussfolgerung auf den Punkt. Ziel ist die Optimierung des „Veredelungsprozesses“, wobei Letzteres die Umwandlung von pflanzlichen Produkten  in höherwertige Tierprodukte  bezeichnet. Dementsprechend kann man Massentierhaltung aus als „Veredelungswirtschaft“ bezeichnen.

Kwun Tong Shui Wo Straßenmarkt in China; Quelle: wikimedia

Klimarettung und Welternährung durch EU und Interessenverbände

Auch die Interessenverbände der Viehwirtschaft wünschen sich leichtere und schnellere Zulassungen von gentechnisch verändertem Saatgut (Genveränderten Organismen) in Europa. Nicht nur Schweinehalter stehen in Deutschland unter enormem Preisdruck. Viele Agrarverbände erörtern ihren Mitgliedern, dass Markterlaubnis für GVO in Europa die Futtermittelkosten und somit die Gewinnspanne der Erzeuger vergrößern könne. Dass dieser Effekt höchstwahrscheinlich nur kurzfristig weilen würde, fällt unter den Tisch. Von „Gewinn“ kann in der „Intensivtierhaltung“ oder „landlosen Tierhaltung“, wie bevorzugte Bezeichnungen der Hühner-, Rinder- und Schweineproduzenten sind, nicht groß die Rede sein. Nach Angaben der Landwirtschaftskammer Niedersachsen konnten 2008 nur etwa zwei Drittel der Betriebe schwarze Zahlen schreiben. Niedersachsen und das Emsland beheimatet rund 50 Prozent der Ställe in Deutschland. Die Preise die die Erzeuger erhalten sind knapp kalkuliert. In Deutschland herrscht Überproduktion. Dennoch machen Interessenverbände und Politik Hoffnung auf ein gutes Exportgeschäft nach China oder andere Regionen der Welt, die dem westlichen Lebensstil nacheifern.

Doch auch die EU spielt ihre Rolle dabei. Sie ist stets bemüht Lebensmittelkosten für die Verbraucher auf niedrigem Niveau zu halten. Vor allem die wirtschaftsliberalen Ideale von freiem Personen-, Kapital-, Finanz- und Güterverkehr prägen ihr Vorgehen. So sieht die EU ungern Einschränkungen der freien Marktwirtschaft. Sei es durch Einfuhrverbot von GVO oder Verbote für den Anbau derselben. Dass EU-Politik auch protektionistische Züge aufweist wird deutlich an den hoch subventionierten Exporten von Milch- und Milcherzeugnissen, aber auch lebenden Tieren in Länder außerhalb der EU, häufig der dritten Welt. Rund 40 Millionen Euro jährlich in Form von Agrarsubentionen lässt die Staatengemeinschaft sich das kosten. In Deutschland erhalten davon allerdings weniger als 1 Prozent der Erzeuger mehr als 300.000 Euro, während 70 Prozent der Betriebe unter 10.000 Euro bleiben. Die „großen“ Empfänger sind meist Unternehmen die nicht mehr in erster Linie mit der Erzeugung von Lebensmittel zutun haben (oder manchmal auch gar nichts mehr) sondern mehr verarbeitende Betriebe wie Campina oder Storck.
Hier scheinen die kleinen Schweinemäster also nicht die großen Gewinner zu sein. Zwar sind Milchsee, Butter- und Fleischberge seit 2007 endgültig aufgebraucht, die Überproduktion geht jedoch ungebremst weiter. Auch  umfassende Standardisierung der Lebensmittelproduktion ist der EU ein Herzensanliegen. Natürlich hat das den Vorteil, dass man hier scheinbar alles besser kontrollieren kann, als bei kleinbäuerlicher Strukturierung. Zudem ist hier ein verbesserter Arbeitsprozess verantwortlich für rationelles Produzieren. Zweifelsohne ist hygienisch gesehen durch einheitliche Normen der EU die Fleischqualität und -sicherheit gestiegen. Ob der vorangetriebene Rationalisierungsprozess auch  ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis für Gesellschaft und Umwelt anbietet ist jedoch fraglich. Einen kleinbäuerliche Struktur passt eben nicht zum fortschrittlichen global player Europa.

Schweinemast 1952; Quelle: Bundearchiv

Verunsicherungen und Hoffnungen

Bei topagrar online, einem „Magzin für moderne Landwirtschaft“ gab es 2008 einen Expertenchat für Schweinehalter. Auf die Frage nach der Größe der Schweinemast und ihren Standorten in zehn Jahren antwortete Dr. Claus-Ulrich Honold, Notierungsleiter an der Landesstelle für landwirtschaftliche Marktkunde in Schwäbisch-Gmünd als Experte: „Wir haben eine sehr starke regionale Differenzierung, z.B. ist in Süddeutschland ein 1000er-Betrieb schon groß. In Niedersachsen ist dies wahrscheinlich ein unterdurchschnittlicher Bestand. Wahrscheinlich wird es in 10 Jahren auch in Süddeutschland schwierig sein ausschließlich von 1000 Mastplätzen zu leben. Die Frage nach den Standorten: Ziel sollte es immer sein, an einem entwicklungsfähigen Standort möglichst viele Mastschweine zu halten, wo die Obergrenze letztendlich liegt, ist selbst innerhalb eines Bundeslandes regional sehr differenziert zu betrachten.“ Zum Rat der Betriebserweiterung ist zu erwähnen, dass die Niederlande 2008 einen Ferkelüberschuss von fünf Millionen hatten, der zur Hälfte nach Deutschland exportiert wurde. Mäster wie Erzeuger vor allem mit kleineren Einheiten geraten zunehmend unter erheblichen Druck. Man tröstet mit der Aussicht auf Steigerung des Pro-Kopf-Verbrauchs innerhalb der EU durch den Nachholbedarf der Länder aus der Osterweiterung 2007.

War es vor einigen Jahren noch kaum möglich neue Genehmigungen für Großmastbetriebe zu bekommen, sind derzeit wieder Projekte in Planung oder im Bau begriffen. Der Widerstand der Anwohner ist jedoch zunehmend ein Problem für die Landwirte. „Es handle sich um einen landwirtschaftlichen Betrieb, den eine Familie plane, die bereits seit Generationen in der Landwirtschaft tätig ist und sich nun eben auf Hühnermast spezialisieren möchte: Das wird kein Industriebetrieb“, meint der Bürgermeister des 60-Seelen-Dorfes Messenfeld bei Ebensfeld. Hier soll ein Hühnermaststall für 36.000 Tiere errichtet werden (Quelle).
Falls dort nicht gebaut wird, ist das andernorts gerade recht. Der Fleischverzehr geht nämlich trotz Abneigung gegen die gängigen Haltungsformen nicht zurück, verzeichnet sogar jährlich noch Zuwächse. So können sich hier holländischen Hühnerfabrikanten, dänische Ferkelproduzenten und tschechische Kaninchenmäster freuen über die besseren Absatzmöglichkeiten unter protestfreudigen Deutschen. Dass die meisten Staaten laxere Tierschutzgesetze haben als das strenge Deutschland, und am Ende der Widerstand gegen heimische Produktion zu Ungunsten der „Nutztiere“ ausgeht, muss wohl nicht extra erörtert werden. Gänzlicher Verzicht auf tierische Produkte ist ja für die meisten gar nicht vorstellbar.

Deutsche Fleischfabriken

Die Zahlen die einem entgegenen sind kaum vorstellbar. Europas größte Fleischfabrik, der Firma B. & C. Tönnies, steht im westfälischen Rheda-Wiedenbrück. Hier werden täglich 20.000 Schweine geschlachtet und 150.000 Schnitzel hergestellt. Dies entspricht circa 13 Schweinen pro Minute. Im niedersächsischen Wietze wird derzeit an Europas größtem Hühnerschlachthof gearbeitet. Hier sollen pro Stunde 27.000 Hühner geschlachtet werden, was sieben Hühnern pro Sekunde entspricht und 432.000 Tieren pro Tag (2.592.000 Hühner pro Woche,134.784.000 pro Jahr) auf mehreren Schlachtstraßen parallel.
Für solche Projekte sind Schweinemäster und Hühnermastanlagen im Einzugsgebiet von extremer Wichtigkeit. Das Argument ‚Arbeitsplätze‘ ist jedoch mehr Hohlraum als Inhalt, ist doch minimaler Personalaufwand für die Pflege der Tausenden von Tieren nötig. Dazu kommt Konkurrenz von Billiglöhnern und ökologische Folgekosten, die auf die Regionen zukommen. Irgendwo muss ja die Gülle hin- und der enorme Wasserbedarf herkommen. Schließlich fliegen die Hühner nicht alleine zum Schlachthof und verteilen sich nicht von dort auf wundersame Weise über die Supermärkte Europas.
Viele Hofbetreiber, die seit Generationen ihren landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaften stehen vor der Entscheidung ihre mittelgroßen Betriebe, die sie durch Modernisierung und Vergrößerung über die letzten Jahre gerettet haben, zu modernen Großmastanlagen zu erweitern oder die Segel zu streichen. Die Existenzangst sitzt tief in den Knochen der Viehwirtschafter. Auf dem Rücken der kleineren Produzenten wird der Machkampf europäischer Großkonzerne ausgetragen. Es geht um die Marktherrschaft. Durch Ausbau dieser Überkapazitäten bilden sich Spekuationsblasen bzw. „Hühnchenblasen“.

Schweinemast heute; Quelle: Erzeugerring

Es gibt nach wie vor Ökonomen, die die Selbstregulierungskräfte der Märkte nicht als einen Mythos abstempeln. Nachfrage und Angebot stehen immer im Wechselverhältnis. Ob Verbraucher den Betrieb der große Maschinerie der Viehindustrie verändern können ist fraglich. Ob man Unternehmen und Erzeuger mit Gesetzen zu Tierschutz und Wirtschaftsethik in ausreichendem Maße in die Pflicht nehmen kann ist ebenso hinterfragbar. So besteht immer das Risiko einer ideologiedurchränkten Politik gegen grenzen- und schamloses freies Agieren der Marktteilnehmer. Zwischen diesen großen Gedankenzusammenhängen steht der Milchbauer, der mittelgroße Schweinezüchter oder der  Hühnerhofbetreiber mit privatem Risiko, familiärer Verantwortung und Tradition. Die ethische Selbstfindungsphase unserer Gesellschaft wird noch spannend werden.

Weitere Infos:

Frontal 21 „Die Machenschaften der Hähnchenmäster“

Gerhard Flachowski: FLI, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit zu globaler Ernährung und CO²-Fußabdruck von Fleisch


Der Wulff und die Lämmer des Herren

2010 war sein Jahr. Christian Wulff ist seit  August der amtierende Bundespräsident. Im Vorfeld der Bundespräsidentenwahl kam  am Rande der Berichterstattung ein Thema zur Sprache das doch einiges Entzweiungspotential enthielt.  Das Amt mit beratender Funktion des ehemaligen niedersächsischen  Ministerpräsidenten bei Pro Christ.  Nach Amtsantritt entschied sich Christian Wulff zu einem Austritt aus dem Kuratorium. Daraus hatte sich für mich die Frage ergeben, ob eine Beteiligung Christian Wulffs bei einem christlich-fundamentalistischen Verein mit seiner Position als Bundespräsident vereinbar ist.

Was ist das Besondere an Pro Christ, dass die Beiteiligung Christian Wulffs umstritten ist?  Die Selbstbeschreibung auf der Homepage http://www.prochrist.org  verrät über die Mitglieder der  „Projektagentur“ mit dem Hauptziel der Evangelisation an den „gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus – so, wie ihn die Bibel bezeugt“ zu glauben. Im Klartext bedeutet dies die Ablehnung der historisch-kritischen Methode, die die theologische Basis der Großkirchen bildet. Im christlichen Feld handelt es sich also um eine konservativ-fundamentalistische Randgruppe. Weiter ist auf der Website zu lesen,  dass dieses Projekt fortgesetzt werden würde, „solange Gott diesen Dienst bestätigt.“  Hier liegen Legitimierungsgrundlage sowie rechtlicher Referenzpunkt bei Gott. Einen Schritt weiter gedacht kann man daraus schlussfolgern, der Mensch sei an erster Stelle dem Gottesrecht unterworfen. Hier wird das Rechtsmonopol des Staates nicht weniger untergraben als es  verschiedenen islamistischen Vereinigungen angelastet wird.  Der Präsident zu Gast bei Islamisten? Ein Aufschrei würde durch die Republik gehen. Wäre Deutschland nicht schon ein „christliches Land“, müsste man dann Angst haben vor einem „Christianismus“? An sich ist es rein rechtlich nicht illegitim solch einer Vereinigung anzugehören. Die  Kommunikation dieser weltanschaulichen Ansicht fällt unter die freie Meinungsäußerung solange es keinen Dritten beeinträchtigt oder  zu einer strafbaren Handlung kommt. Ohne Zweifel jedoch eine grenzwertige Angelegenheit.
Ein weiterer Punkt sind die Anschuldigungen diskriminierender Äußerungen über Homosexualität [1]gegenüber dem Leiter des Vereins, Ulrich Parzany. Ähnliche intolerante Einstellungen sind von radikalen politischen wie religiösen Gruppen mit politischer Agenda bekannt. Politische Ziele sind bei Pro Christ vordergründig nicht auszumachen, dennoch bleibt der Eindruck, dass sich Parzany und seine Anhänger auf einem schmalen Grad bewegen.

Angesichts der Forderung, dass ein Bundespräsident überparteilich und „lebendiges Symbol des Staates“ sein sollte, ist die Frage nach dessen religiösem Engagement berechtigt. Die  Christlich Demokratischen Union, der Herr Wulff angehört, sieht ein christliches Bekenntnis und die „christliche Leitkultur“ als elementar in ihrem Parteiprogramm vor. Noch zwei Monate vor seiner Benennung als Kandidat für das Präsidentenamt bekräftigte er im Kruzifix-Streit seine christliche Position. Mit der von ihm ernannten niedersächsischen Ministerin Aygül Özkan und ihrer Forderung der Abnahme der Kreuze in Schulen, ging ein kurzer Ruck durch die niedersächsische CDU . Ein Ministerpräsident ist stärker seiner Rolle als Parteimitglied verhaftet. So wurden die Bedenken seines religiösen Engagements erst mit seiner Nominierung  für das Bundespräsdentenamt lauter. Der deutsche Staat ist hier sehr liberal. Private Glaubensüberzeugungen sind jedem –auch einem Berufspolitiker- überlassen. Auch Günther Beckstein, der ehemalige Ministerpräsident von Bayern, Erwin Teufel, der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Christine Lieberknecht, die Ministerpräsidentin von Thüringen sind Mitglieder des Kuratoriums. Die Frage zieht sich also eher an den Erwartungen gegenüber der beiden unterschiedlichen Ämter eines Ministerpräsidenten und des Bundespräsidenten aller Deutschen auf. Auf der Homepage des Bundespräsidenten steht über dessen Repräsentationsfunktion: „Jedes Auftreten des Staatsoberhauptes in der Öffentlichkeit, seine Teilnahme an einer Veranstaltung […] bring[t] die staatliche Würdigung in der Person des Bundespräsidenten zum Ausdruck. Er setzt dadurch Zeichen der staatlichen Anerkennung, des Wohlwollens oder der besonderen Förderung.“ Offensichtlich würde ein bei Pro Christ beteiligter Bundespräsident sein eigenes Fundament, die Verfassung, untergraben. Auch Kritik an Verfassung und Staat sind teil der Meinungsfreiheit und vollkommen legitim.
Faktisch ist die Trennung von Staat und religiösen Organisationen in Deutschland nicht strikt wie in einem laizistischen Modell. Die Säkularisierung hat in Deutschland zu einer kooperativen Zusammenarbeit und einer Schutzfunktion des Staates gegenüber persönlichen religiösen Einstellungen geführt. Wachsamkeit von Staatswegen in Bezug auf jegliche Form des religiösen Fanatismus würde diese Zusammenarbeit sicher verbessern, nicht verschlechtern. Wulffs Berater waren klug ihn zu einer Niederlegung des Amtes nach seiner Wahl zu raten. Der Mehrheit der deutschen Bevölkerung wäre es wohl kaum auch plausibel zu erklären, warum ein extremistischer Verein, der einen Bruchteil christlicher Weltsicht repräsentiert wohlwollend anerkannt werden sollte.

Weitere Infos:

3sat kulturzeit: Evangelikale auf antischwuler Mission