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Beherzt handeln: Kleiner Zivilcourage-Guide

Eine Frau, nachts halb eins alleine auf dem Heimweg. Viele sind durch die Vorfälle in Köln verunsichert. Genau zu wissen, was in einer verunsichernden Situation zu tun ist, beruhigt. Egal, ob es einen selbst betrifft oder andere. Was ist zu tun, wenn Angetrunkene ihre Grenzen nicht mehr kennen? Oder eine Gruppe Schulkinder ein einzelnes Kind angehen? Hier gibt es ein paar einfache Tipps zum couragierten Eingreifen und zum Selbstschutz.

Eine gute Position auswählen
  1. In öffentlichen Verkehrsmitteln vorne einsteigen
    In Bussen ist der Fahrer oder die Fahrerin hier in Sicht- und Sprechweite, in U- und S-Bahnen ist der Fahrer oder die Fahrerin an jeder Station ansprechbar. Das gibt Sicherheit.
  2. Leere Wagons vermeiden
    Mehrere anwesende Personen erhöhen die Hemmschwelle für die Täter und ermöglichen Hilfe zu aquirieren. Die meisten Fahrgäste sitzen  sowieso ganz vorne oder ganz hinten.
  3. An der Tür stehen bleiben
    Dort befinden sich die Notruftasten, falls sie wirklich benötigt werden. Außerdem ist es leichter möglich eingekesselt zu werden, wenn man beispielsweise am Fenster außen sitzt.
Auf dem Weg
  1. Die Straßenseite wechseln
    Nachts, oder wenn keine Menschen weiter unterwegs sind, auf der Gehwegseite gehen, auf der der Gegenverkehr entgegen kommt (also links). So ist alles was entgegen kommt im Blickfeld.
  2. Das Heimwegtelefon
    Bestimmt ist noch jemand wach, der ein paar Minuten Zeit hat, dich mit der Stimme am Handy bis nach Hause zu begleiten. Falls das nicht so ist, gibt es das Heimwegtelefon. Unter der für ganz Deutschland zuständigen Nummer 030-12074182 begleitet dich jemand nach Hause. Regelmäßig wird der Standort durchgegeben, so dass im Notfall schnell Hilfe geschickt werden kann.
  3. Selbstbewusste Ausstrahlung
    Eine selbstbewusste Ausstrahlung schreckt nachweislich Täter ab. Sitze oder stehe gerade. Zähle beim Gehen nicht die Steine auf dem Boden, sondern sieh dich aufmerksam um. Sieh den Personen direkt in die Augen. Damit zeigst du an: „Mit mir nicht!“
In verbalen Bedrängungssituationen richtig agieren
  1. Der böse Blick
    Die meisten Frauen haben den „bösen Blick“ meist sowieso drauf. Einfach, weil sie ihn traurigerweise in ihrem Leben schon gebraucht haben. Sich wegzuducken und aus dem Fenster zu schauen, zu versuchen, etwas Unangenehmes zu ignorieren in der Hoffnung, dass der andere damit aufhört, ist körperlich eher das Signal „Ich bin verunsichert und das richtige Opfer“. Daher einen kurzen, aber direkten Blick in die Augen um den anderen als erste klare Ansage zu erteilen, dass du eben kein Opfer bist. Das heißt allerdings auch nicht, dass ab jetzt alle unheimlichen Personen angestarrt werden sollen. Sowas kannst du gut einmal auf einer gewöhnlichen U-Bahnfahrt üben.
  2. Die Stimme als Instrument
    Mit klarer, fester Stimme, und vor allem laut, die Ansage machen, dass kein Kontakt gewünscht ist. Einfach nur da sitzen und nichts tun, also ein passives Verhalten, macht uns erst zu Opfern. Es wirkt wie eine Einladung.
  3. Das Gegenüber siezen
    Wenn die anderen Personen das gleiche Alter haben, oder sogar jünger sind, kann sich das komisch anfühlen. Aber durch Ansprache mit „Sie“ statt „du“ ist zum einen verbal eine klare Grenze gezogen, zum anderen erkennen alle umstehenden Personen sofort, dass es sich nicht um eine Streitigkeit im Freundeskreis handelt, sondern die Personen fremd sind.
  4. Höfliche Klarheit
    Natürlich ist so eine Situation meist aufbringend und macht auch wütend. Trotzdem sollten wir das Gegenüber nicht beschimpfen, beleidigen oder bedrohen. Persönlicher Angriff ist nicht die beste Waffe. Wir wollen deeskalieren. Also ruhig und bestimmt reden und nicht weiter provozieren. Bestimmt bedeutet auch, sich nicht auf Opferebene zu begeben, also nicht zu betteln und zu flehen. Das stachelt den potentiellen Täter nur noch mehr an, denn genau soetwas sucht er: ein Opfer! Eine hilflose, schwache Person, die ihm das Gefühl von Macht gibt. Beispiel: Laut und deutlich, mit Blickkontakt direkt ansprechen: „Ich möchte jetzt aussteigen! Bitte lassen Sie mich vorbei!“, und dabei direkt aufstehen und zur Tür gehen. Schnell agieren ist sehr wichtig. Zögern zeigt Verunsicherung.
Wenn es zu körperlicher Bedrängung kommt
  1. Abwehrende Körperhaltung
    Bereits wenn jemand zu nahe kommt, also in den persönlichen Raum eindringt, der etwas wie ein Kreis 50 Zentimeter um die eigene Person besteht, die Arme gerade nach vorne strecken mit den Handflächen zum Täter. Ein lautes „Stopp!“ dazu wirkt energisch. Dabei nicht zurückweichen. Eine Abschreckung tatsächlich mit körperlicher Energie erzeugt frau, indem sie ihr Gewicht dabei nach vorne verlagert und einen Fuß nach vorne setzt, ungefähr so, als würde sie gleich losrennen. Natürlich tut sie das nicht. Diese drei Dinge senden ein kräftiges Stopp-Signal, dass das Gegenüber zumindest erstmal irritieren wird. Sowas sollte unbedingt mal mit dem Mitbewohner oder der Freundin ausprobiert werden, um es sich dann auch wirklich zu trauen. Und schreit ihn oder sie dabei wirklich an…. „Stopp!“ (Um die nonverbale Eindringlichkeit dieser Geste nachzuvollziehen gibt es Foto-Beispiele im Internet unter dem Suchwort „Stoppgeste“ en masse). Einfach mal ausprobieren und zuhause sein Spiegelbild oder seinen besten Freund „stoppen“.
  2. Situation verlassen
    Die kurze Irritation durch das Stopp-Signal kann gut genutzt werden, um die Situation zu verlassen, bei Verkehrsmitteln einfach auszusteigen. Sinnvoll ist dabei, in Richtung einer Gruppe von Menschen zu gehen.
  3. Kein Körperkontakt
    Bei verbaler Verteidigung schon erwähnt: nicht weiter provozieren. Daher den Täter keinesfalls anfassen. Auch, wenn er keinen Respekt vor dem persönlichen Raum anderer hat, seinen eigenen kennt er meistens ganz genau! Dies könnte nur zur Eskalation führen. Wir wollen deeskalieren. Aus dem Stopp-Signal sollte daher auch kein Schubsen werden. Außer dieser Bewegung, die selbstbewusst und schnell ausgeführt werden muss, sind schnelle Bewegungen zu vermeiden.
In einer aktuten Notsituation richtig handeln
  1. Alarm-Tools für den Schlüsselbund
    Es gibt Alarm-Schlüsselanhänger, die bei Betätigung ein ohrenbetäubendes Geräusch machen. Häufig verschreckt das Täter und macht Passanten aufmerksam. Dieser Helfer kann auch eingesetzt werden, wenn jemand anders in einer Bedrängungssituation ist. Dann einfach den Alarm auslösen und das Gerät auf den Boden in Richtung der/des Täter(s) werfen. Meist erschrecken diese so, dass sie fliehen. Der kleinen Helfer kann in der Jackentasche schon mal in die Hand genommen werden, wenn es auf den Heimweg geht. Das fühlt sich vielleicht etwas sicherer an.
  2. Bystander aktivieren
    In der Psychologie gibt es das Bystander-Phänomen. Dieses beschreibt den Sachverhalt, dass Menschen ein Unrecht oder eine Straftat bemerken, aber nicht einschreiten, sie vielleicht ignorieren oder sogar den Schauplatz verlassen. Das liegt häufig daran, dass Menschen schlicht überfordert sind, Angst haben und auch nicht wissen was richtig zu tun wäre. Die Hürde ist dabei, aus einer Anzahl von mehreren Personen heraus als erster zu agieren. Diese Schwelle schaffen viele nicht. Denn schließlich könnte ja auch der andere helfen…. Doch genau das ist Zivilcourage! Befinden sich andere Menschen in Rufweite, sollten diese konkret angeprochen werden.
    „Hey, du mit der grünen Jacke! Kannst du mir bitte helfen?“
    „Hallo, sie mit dem Regenschirm, rufen Sie bitte die Polizei!“
    Bei direkter Ansprache wachen die meisten Menschen aus ihrer Starre auf und reagieren dann auch couragiert. Hat einer das Eis gebrochen, ist es für alle anderen meist klar, dass sie jetzt auch aktiv werden müssen.
  3. Der Schlüssel als Waffe
    Einen Schlüsselbund hat meist jeder dabei und meist auch griffbereit in der Jackentasche. Den Ring des Bundes in die Handfläche nehmen, die einzelnen Schlüssel durch die Finger fädeln und eine Faust machen. Schon ist eine einfach Selbstverteidigungswaffe gebaut, wenn nichts mehr zu gehen scheint.

Warum kein Pfefferspray? Die Chance, in der Hektik unkontrolliert rumzusprühen, dabei potentielle Helfer oder gar sich selbst außer Gefecht zu setzen, ist einfach zu hoch. Außerdem ist es wie immer: Wenn frau es braucht, hat sie es nicht dabei, ist es nicht griffbereit oder funktioniert es nicht.

Ist jemand anderes das Opfer, gilt es, selbst couragiert einzugreifen. Wird beispielsweise ein kleiner Junge bedrängt, dann ihn zu sich her holen, raus aus seiner Gefahrensituation. Ist selbst eingreifen zu gefährlich, geht immer noch die Polizei verständigen oder Hilfe aquirieren (wie oben bei Bystander aktivieren erklärt). Auch als unbeteiligte Person laut um Hilfe schreiben, kann Täter dazu bewegen zu fliehen.

Für den Fall der Fälle sollte bekannt sein, wo sich Notrufsäulen und Notrufknöpfe befinden. Darauf einfach einmal bewusst achten und Ausschau halten. Der Notruf 112 kann von jedem Handy gewählt werden, auch wenn kein Guthaben mehr drauf ist, oder gerade kein Netzempfang da ist. Das geht immer!

Was bedeutet Zivilcourage? Zum einen meint es eingreifen, wenn jemand in Not ist, zum anderen selbstbewusst handeln in Gefahrensituationen. Täter suchen sich ihr Opfer meist gezielt aus. Opfer zu werden, kann vermieden werden. Es ist nicht zu vermeiden, den Heimweg auch mal alleine anzutreten. Dafür gibt es einige Dinge, an denen wir uns entlang hangeln können, um uns sicherer zu fühlen.

Ein Tageskurs zum Thema ist immer lohnenswert, zum Beispiel bei Zivilcourage für alle.

 

 

 


Sind wir nicht alle ein bisschen… rechts?!

In den letzten Wochen ging es wirklich rund. Im fränkischen Vorra wurde ein Asylbewerberheim in Brand gesteckt und mit Hakenkreuzen beschmiert und der Zulauf an Sympathisanten für PEGIDA (ein fantasievolles Akronym für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) scheint nicht zu enden. Was ist nur los am rechten Rand?

Ach, wie erfrischend war diese Limonadenwerbung in den 90er-Jahren. So schön konnten wir uns damit identifizieren, alle ein bisschen „bluna“ zu sein. Dieses „Anderssein“-Wollen nicht nur in diesem Werbespot steht symptomatisch für ein Charakteristikum der Moderne: die Individualisierung, die Fokussierung auf den Einzelnen, die Kultivierung des Egozentrimus. Da drängt sich die Frage auf, ob es PEGIDA-Demonstranten auch nur um ihre eigene Haut geht, oder wirklich um den Schutz des bedrohten Abendlandes.

Das genauer zu betrachten, dafür müssen wir das Phänomen zerlegen. Erst einmal ist mir die besonders sperrige Wortwahl aufgefallen. „Patriotisch“ scheint ein Wort zu sein, was mit Amerikanern, Franzosen, ja scheinbar mit so ziemlich jeder anderen Nation auf der Welt verbunden werden kann, nur bitte nicht mit Deutschland! Ja, das wurde tatsächlich so wahrgenommen. Die Deutschen bemühten sich als „Tätervolk“ nach dem Zweiten Weltkrieg unermüdlich, eine „moderne“, liberale Gesellschaft zu werden. Das Wirtschaftswunder und die Exportweltmeisterschaft machten es uns einfach, die Bestätigung und Achtung der restlichen Welt über wirtschaftlichen Wohlstand und industrielle Vormachtstellung zu erlangen. Nur, der Begriff  „deutsch sein“ blieb ohne Inhalt. Eine Worthülse, die wir nicht füllen konnten. Der Patriotismus anderer Nationen erschien uns befremdlich und übertrieben… bis zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Das Sommermärchen brachte nicht nur ein völlig neues Marktsegment hervor (das der Fanartikel in den deutschen Nationalfarben), sondern taute auch die Herzen der Generationen auf, für die die Kriegsverbrechen und das zwanghafte Schuldmantra in der Vergangenheit liegen. Auch schwenkten viele die deutsche Flagge, die Nachkommen von Immigranten sind. Nach nur weiteren acht Jahren, einer Europameisterschaft und einer weiteren Weltmeisterschaft mit Titel, ist es nun breit anerkannt Flagge zu zeigen. Ein bisschen Patriotismus schadet schließlich nicht.

Das nächste Wort, was mich ansprang wie eine rote Warnleuchte war „Islamisierung„. Nicht nur, dass dieser Begriff häufig auf einer Seite des parteipolitischen Spektrums benutzt wird (und auch noch viel weiter „rechts“ von diesem), ist er für mich die Verkörperung dessen, was wir an vielen Brennpunkten der Welt beobachten können: die religiöse Aufladung von politischen Konflikten. Bestes Beispiel ist hier der Nahost-Konflikt. Es geht schlicht um Landansprüche. Der Anspruch darauf wird religiös gerechtfertigt. Die jeweiligen Vorgehensweisen religiös gedeutet und untermauert, so zum Beispiel durch die Glorifizierung des muslimischen Märtyrertodes von palästinensischen Attentätern, oder die rigide Wasser- und Arbeitspolitik an den Rändern israelischer Siedlungsgebiete.

Und schließlich dieser Begriff „Abendland“, der als ein Pendant zu „Morgenland“ ständig einen unterschwingenden Hauch von Orient und Tausend und einer Nacht mit sich trägt. Beziehungsweise das Gegenstück dazu: rational, aufgeklärt und „entzaubert“. Das letzte Mal würde dieses Wortpart gesellschaftspolitisch und medienwirksam ausufernd am Ende der 90er-Jahre diskutiert, in Folge von Samuel Huntingtons Werk Clash of Civilisations and the Remaking auf World Order (1996, ins Deutsche unpassend als Kampf der Kulturen übersetzt). Er teilt die Welt in Kulturräume ein, darunter westlich und islamisch, und tut dabei nichts anderes, als eine alte Dichotomie von Orient versus Okzident wieder zu aktivieren. Alt ist diese Idee, weil die Bedrohung durch die Muslime als traumatisches Bedrohungserlebnis fest im kollektiven Gedächtnis der Europäer verwurzelt ist (711 – 1492: Al Andalus – Teile von Europa unter muslimischer Herrschaft (die Iberische Halbinsel); 1529: Erste Belagerung Wiens durch die Türken; 1683: Zweite Belagerung Wiens durch die Türken). Im gleichen Jahrzehnt wie Huntingtons These erstscheint die Bluna-Werbung, die uns zeigen wollte, dass wir alle etwas seltsam sind, auf unsere je eigene Art und Weise, aber doch etwas gemeinsam haben: eben dieses seltsam sein.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Was ist nun faul im Staate Deutschland? Geht es hier am Ende mehr um ein politische oder soziales Problem, was religiös aufgeladen wird? Ein Anhaltspunkt dafür ist wohl, dass sich die Angst vor einer „Islamisierung“ nicht nur gegen Muslime richtet, sondern gegen Immigranten generell. Dabei ist wohl egal, ob es sich um Sinti und Roma vom Balkan handelt, um Flüchtlinge aus Kriegsregionen oder die Nachkommen von Einwanderern in der zweiten, dritten oder bereits vierten Generation. Es scheint, als richte sich der Begriff gegen eine Ansammlung von gesellschaftlichen Realitäten, die einem Teil der deutschen Bevölkerung (in der Diskussion über PEGIDA häufig als „bürgerliche Mitte“ oder „Nazis in Nadelstreifen“ bezeichnet) befremdet, ihm sogar regelrecht Angst macht.

Die politische Seite reagiert mit scharfer Abgrenzung. PEGIDA sei „die Schande Deutschlands“. Dies allerdings klingt mehr nach einem Lippenbekenntnis. Immer wieder wiederholte Mantras der „Liberalität“, „Toleranz“ oder offenen Asylpolitik sind leider nichts anderes als nettes Polit-Marketing. Die Taten unserer Regierenden sprechen leider eine andere Sprache. A propos Sprache… zu der äußerte sich eine bayerische Tochterpartei der CDU jüngst erst mit der Forderung auch „in der Familie deutsch zu sprechen“. Zu Beginn des Jahres auf ihrer Klausurtagung formulierte der bayerische Ministerpräsident ganz salopp „wer betrügt, der fliegt“ als Slogan um Armutszuwanderung aus anderen EU-Staaten zu begegnen. Die politische Welt scheint eine tief gespaltene Persönlichkeit zu haben. Auf der einen Seite wird medienwirksam das gesagt, was die politically correctness erwartet. Auf der anderen Seite scheut man sich nicht davor, auch Vorhaben zu unterstützen, die in ihrer Konsequenz genau das Gegenteil bedeuteten: Erhalt oder Verschärfung von sozialer, politischer und menschlicher Ausgrenzung von Menschen fremder Herkunft, so zum Beispiel die dieses Jahr neu geregelten Zuwanderungsregelungen, die Armutsmigration verhindern sollen. Dazu ist zu erwähnen, dass wir hier von Prozentpunkten im unteren einstelligen Bereich reden. Häufig sind es Sinti und Roma, die aus den Ländern Bulgarien und Rumänien kommen. Warum? Weil sie wirklich auch dort nicht mehr als den Dreck unter ihren eigenen Fingernägeln beitzen und weil sie wirklich dort ausgegrenzt und diskriminiert werden. Auch diese Aktion aktiviert ein altes Stereotyp: das des seit dem 15. Jahrhundert bekannten Begriffs „Zigeuner“. Ja, das sind die Landstreicher, ohne festen Wohnsitz, die keinen Beruf haben, ihren Lebensunterhalt mit Klauen verdienen und unehrlich sind. Auch wenn Sinti und Roma Eigenbezeichnungen sind und diese Konnotation nicht haben, so bezeichnet der Begriff doch die gleichen Menschen… und die sind im kollektiven Gedächtnis immer noch so vorurteilsbehaftet, ähnlich wie der bedrohliche „Muselmann“.

Sollten wir uns Sorgen machen?

Ein Bekannter von mir erwähnte in einem Gespräch mit mir zum Brandanschlag von Vorra die Vermutung, es könnte sein, dass es gar nicht „Nazis“ waren, die das Asylbewerberheim angesteckt hätten. Vielmehr gewöhnliche Ortsansässige, die einfach keine Asylbewerber dort haben wollten. Hakenkreuzschmierereien als allzu plattes und eindeutig assoziiertes Symbol, seien nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. Was wäre wenn, das wirklich zutrifft? Ist dann die „Mitte der Gesellschaft“ rechtsradikal? Oder ist der Rechtsextremismus jetzt zum Mainstream geworden? Am Ende frage ich mich, ob vielleicht die allzu starken und verurteilenden Begriffe den Blick vernebeln, auf den eigentlichen Gemütszustand dieser „bürgerlichen Mitte“.

Edmund Stoiber meint, es würde ein Großteil der Demonstranten aus Angst mitlaufen. Aha. Aber warum dann nicht auf einer Demonstration für einen angemessenen Mindestlohn? Oder für mehr direkte Demokratie? Oder gegen Waffenexporte, die GEZ, gegen die Autobahnmaut oder höhere Renten. Irgendwie scheint PEGIDA alles ein bisschen zu sein und doch nichts. Oder doch am Ende etwas „bluna“? Nein, dumm oder verrückt sind diese Menschen nicht. Wer das behauptet, nimmt das Brodeln in der Gesellschaft nicht richtig wahr, er unterschätzt es. Was natürlich etwas kurzsichtig anmutet, ist die offen bleibende Frage, warum diese Menschen das, was sie fordern und vertreten, nicht mal zuende denken?

Ohne Menschen mit Migrationshintergrund, hätte Deutschland ein Viertel weniger Einwohner (also knapp 20 Millionen weniger). Dass Einwohner mit Arbeitskraft und dadurch auch mit Wohlstand (durch BIP gemessen) korreliert, ist bekannt. Zahlenbasierte Fakten zählen scheinbar weniger, als ein diffuses Gefühl der Bedrohung, der Benachteiligung und der Zukunftsangst.

Fischen am rechten Rand – ist das auch nur Demokratie?

Merkmal einer Demokratie ist, dass in ihr ach das volle Spektrum von Meinungen, die innerhalb gesetzter Grenzen (Grundgesetz) bleiben, einen Platz und ein Recht haben. Also auch die Meinungsäußerungen, die ihr Unwohlsein und ihre Befürchtungen bezüglich einer „Islamisierung“ Europas fürchten. Das unklar ist, was unter diesem diffusen Begriff verstanden werden soll, haben wir oben schon gesehen. Es zählt offenbar viel mehr der Charakter als „Kampfbegriff“, der ihm anhaftet, als sein wirklicher Inhalt, also das was er meint, kritisiert und wofür er bestenfalls einen Gegenentwurf enthält.

So spricht die mitte-links gerichtete Politik nach einer langen Diskussion endlich klar und deutlich von Deutschland als einem Einwanderungsland und einer Willkommenspolitik, während sie auf EU-Ebene federführend dafür ist, die Außengrenzen der EU abzuschotten und Flüchlinge lieber absaufen zu lassen. Ja, sogar Milliarden an Nachbarländer in Nordafrika zu zahlen, um unüberwindbare Zäune zu errichten und Flüchtlinge mit dem Ziel Europa einzuschüchtern, einzuknasten, abzuschrecken. Das dies auch mit Mitteln geschieht, die gegen die UN-Menschenrechtskonvention verstoßen, ist kein Geheimnis.

Innenpolitisch machen Parteien gegen ihren Gegner AfD vom rechten Rand Stimmung, indem sie ein härteres Vorgehen gegen Sozialbetrüger fordert. Also die Menschen, die vor Armut aus den EU-Ländern, denen es nicht so gut geht wirtschaftlich, in die Länder fliehen, die die Wirtschaftskrise scheinbar unbeschadet überstanden haben. Also aus Portugal, Spanien, Rumänien, Griechenland und so weiter nach Deutschland, zum Beispiel. Hm. Und wohin deportieren wir dann die deutschen Sozialschmarotzer? Zum Beispiel die Politiker, die auf Steuerzahlerkosten ihren halben Verwandtenkreis angestellt haben, nebst Ehefrau und Kindern? Oder wohin exportieren wir die Islamisten, deren Vorfahren über Generationen „deutsch“ sind und die, bevor die sich Abu irgendwie nannten, einfach Hans Müller hießen?

Es scheint, wie ein ewiger Wahlkampf, in dem die Parteien versuchen, die wegschwimmenden Felle aufzuhalten. Die CSU/CDU hat Angst vor Wählerflucht zur AfD, die SPD verliert an die Linken, die Grünen mal wieder zu allen Seiten hin. Da schmückt es sich wohl grade am mitte-rechts Rand schön mit undifferenzierten Parolen, bei denen viele Bürger in einem politik-komatrösen Zustand leicht ins Nicken einstimmen. Am Ende bleibt der fahle Beigeschmack, dass es doch nur ein bisschen um bluna-Egoismus der Regierenden und Machthungrigen geht, als um die tiefergehenden Fragen unserer Gesellschaft die dringend debattiert und angegangen werden müssten: um Menschlichkeit gegenüber Flüchlingen, um Umgang mit dem eigenen Wohlstand (gesamtgesellschaftlich gesehen) und dem Armutselend vor der Haustür der EU, mit der Frage, wer wir Deutschen sind und was „deutsch“ überhaupt ist und natürlich wie wir mit Umbrüchen um gehen.
Den Umbrüchen, die ihre Folgen aus der Geschichte bis ins Jetzt tragen (Drittes Reich, Antisemititsmus, Arbeitsmigration, usw.) den Umbrüchen, die wir gerade erfahren (Wirtschaftskrise, Armutsflucht, Migration aus Krisengebieten, wachsende soziale Kluft, usw.) und den Umbrüchen, die uns in der Zukunft fordern (Migration aufgrund des Klimawandels, Verschiebung der globalen Wirtschaftsmacht, vielfältige multikulturelle deutsche Gesellschaft, die nach ihrer Identität sucht).

 

 

 

 

 


Geschlachtet in der Schule: „Tschüss, liebes Kaninchen“

Geschlachtet in der Schule: „Tschüss, liebes Kaninchen“

Was passiert, wenn Fünftklässlern beim Thema Steinzeit vorgeführt wird, wie damals (wie heute) ein Kaninchen geschlachtet wird? Klar: Aufstand der Eltern.