Beherzt handeln: Kleiner Zivilcourage-Guide

Eine Frau, nachts halb eins alleine auf dem Heimweg. Viele sind durch die Vorfälle in Köln verunsichert. Genau zu wissen, was in einer verunsichernden Situation zu tun ist, beruhigt. Egal, ob es einen selbst betrifft oder andere. Was ist zu tun, wenn Angetrunkene ihre Grenzen nicht mehr kennen? Oder eine Gruppe Schulkinder ein einzelnes Kind angehen? Hier gibt es ein paar einfache Tipps zum couragierten Eingreifen und zum Selbstschutz.

Eine gute Position auswählen
  1. In öffentlichen Verkehrsmitteln vorne einsteigen
    In Bussen ist der Fahrer oder die Fahrerin hier in Sicht- und Sprechweite, in U- und S-Bahnen ist der Fahrer oder die Fahrerin an jeder Station ansprechbar. Das gibt Sicherheit.
  2. Leere Wagons vermeiden
    Mehrere anwesende Personen erhöhen die Hemmschwelle für die Täter und ermöglichen Hilfe zu aquirieren. Die meisten Fahrgäste sitzen  sowieso ganz vorne oder ganz hinten.
  3. An der Tür stehen bleiben
    Dort befinden sich die Notruftasten, falls sie wirklich benötigt werden. Außerdem ist es leichter möglich eingekesselt zu werden, wenn man beispielsweise am Fenster außen sitzt.
Auf dem Weg
  1. Die Straßenseite wechseln
    Nachts, oder wenn keine Menschen weiter unterwegs sind, auf der Gehwegseite gehen, auf der der Gegenverkehr entgegen kommt (also links). So ist alles was entgegen kommt im Blickfeld.
  2. Das Heimwegtelefon
    Bestimmt ist noch jemand wach, der ein paar Minuten Zeit hat, dich mit der Stimme am Handy bis nach Hause zu begleiten. Falls das nicht so ist, gibt es das Heimwegtelefon. Unter der für ganz Deutschland zuständigen Nummer 030-12074182 begleitet dich jemand nach Hause. Regelmäßig wird der Standort durchgegeben, so dass im Notfall schnell Hilfe geschickt werden kann.
  3. Selbstbewusste Ausstrahlung
    Eine selbstbewusste Ausstrahlung schreckt nachweislich Täter ab. Sitze oder stehe gerade. Zähle beim Gehen nicht die Steine auf dem Boden, sondern sieh dich aufmerksam um. Sieh den Personen direkt in die Augen. Damit zeigst du an: „Mit mir nicht!“
In verbalen Bedrängungssituationen richtig agieren
  1. Der böse Blick
    Die meisten Frauen haben den „bösen Blick“ meist sowieso drauf. Einfach, weil sie ihn traurigerweise in ihrem Leben schon gebraucht haben. Sich wegzuducken und aus dem Fenster zu schauen, zu versuchen, etwas Unangenehmes zu ignorieren in der Hoffnung, dass der andere damit aufhört, ist körperlich eher das Signal „Ich bin verunsichert und das richtige Opfer“. Daher einen kurzen, aber direkten Blick in die Augen um den anderen als erste klare Ansage zu erteilen, dass du eben kein Opfer bist. Das heißt allerdings auch nicht, dass ab jetzt alle unheimlichen Personen angestarrt werden sollen. Sowas kannst du gut einmal auf einer gewöhnlichen U-Bahnfahrt üben.
  2. Die Stimme als Instrument
    Mit klarer, fester Stimme, und vor allem laut, die Ansage machen, dass kein Kontakt gewünscht ist. Einfach nur da sitzen und nichts tun, also ein passives Verhalten, macht uns erst zu Opfern. Es wirkt wie eine Einladung.
  3. Das Gegenüber siezen
    Wenn die anderen Personen das gleiche Alter haben, oder sogar jünger sind, kann sich das komisch anfühlen. Aber durch Ansprache mit „Sie“ statt „du“ ist zum einen verbal eine klare Grenze gezogen, zum anderen erkennen alle umstehenden Personen sofort, dass es sich nicht um eine Streitigkeit im Freundeskreis handelt, sondern die Personen fremd sind.
  4. Höfliche Klarheit
    Natürlich ist so eine Situation meist aufbringend und macht auch wütend. Trotzdem sollten wir das Gegenüber nicht beschimpfen, beleidigen oder bedrohen. Persönlicher Angriff ist nicht die beste Waffe. Wir wollen deeskalieren. Also ruhig und bestimmt reden und nicht weiter provozieren. Bestimmt bedeutet auch, sich nicht auf Opferebene zu begeben, also nicht zu betteln und zu flehen. Das stachelt den potentiellen Täter nur noch mehr an, denn genau soetwas sucht er: ein Opfer! Eine hilflose, schwache Person, die ihm das Gefühl von Macht gibt. Beispiel: Laut und deutlich, mit Blickkontakt direkt ansprechen: „Ich möchte jetzt aussteigen! Bitte lassen Sie mich vorbei!“, und dabei direkt aufstehen und zur Tür gehen. Schnell agieren ist sehr wichtig. Zögern zeigt Verunsicherung.
Wenn es zu körperlicher Bedrängung kommt
  1. Abwehrende Körperhaltung
    Bereits wenn jemand zu nahe kommt, also in den persönlichen Raum eindringt, der etwas wie ein Kreis 50 Zentimeter um die eigene Person besteht, die Arme gerade nach vorne strecken mit den Handflächen zum Täter. Ein lautes „Stopp!“ dazu wirkt energisch. Dabei nicht zurückweichen. Eine Abschreckung tatsächlich mit körperlicher Energie erzeugt frau, indem sie ihr Gewicht dabei nach vorne verlagert und einen Fuß nach vorne setzt, ungefähr so, als würde sie gleich losrennen. Natürlich tut sie das nicht. Diese drei Dinge senden ein kräftiges Stopp-Signal, dass das Gegenüber zumindest erstmal irritieren wird. Sowas sollte unbedingt mal mit dem Mitbewohner oder der Freundin ausprobiert werden, um es sich dann auch wirklich zu trauen. Und schreit ihn oder sie dabei wirklich an…. „Stopp!“ (Um die nonverbale Eindringlichkeit dieser Geste nachzuvollziehen gibt es Foto-Beispiele im Internet unter dem Suchwort „Stoppgeste“ en masse). Einfach mal ausprobieren und zuhause sein Spiegelbild oder seinen besten Freund „stoppen“.
  2. Situation verlassen
    Die kurze Irritation durch das Stopp-Signal kann gut genutzt werden, um die Situation zu verlassen, bei Verkehrsmitteln einfach auszusteigen. Sinnvoll ist dabei, in Richtung einer Gruppe von Menschen zu gehen.
  3. Kein Körperkontakt
    Bei verbaler Verteidigung schon erwähnt: nicht weiter provozieren. Daher den Täter keinesfalls anfassen. Auch, wenn er keinen Respekt vor dem persönlichen Raum anderer hat, seinen eigenen kennt er meistens ganz genau! Dies könnte nur zur Eskalation führen. Wir wollen deeskalieren. Aus dem Stopp-Signal sollte daher auch kein Schubsen werden. Außer dieser Bewegung, die selbstbewusst und schnell ausgeführt werden muss, sind schnelle Bewegungen zu vermeiden.
In einer aktuten Notsituation richtig handeln
  1. Alarm-Tools für den Schlüsselbund
    Es gibt Alarm-Schlüsselanhänger, die bei Betätigung ein ohrenbetäubendes Geräusch machen. Häufig verschreckt das Täter und macht Passanten aufmerksam. Dieser Helfer kann auch eingesetzt werden, wenn jemand anders in einer Bedrängungssituation ist. Dann einfach den Alarm auslösen und das Gerät auf den Boden in Richtung der/des Täter(s) werfen. Meist erschrecken diese so, dass sie fliehen. Der kleinen Helfer kann in der Jackentasche schon mal in die Hand genommen werden, wenn es auf den Heimweg geht. Das fühlt sich vielleicht etwas sicherer an.
  2. Bystander aktivieren
    In der Psychologie gibt es das Bystander-Phänomen. Dieses beschreibt den Sachverhalt, dass Menschen ein Unrecht oder eine Straftat bemerken, aber nicht einschreiten, sie vielleicht ignorieren oder sogar den Schauplatz verlassen. Das liegt häufig daran, dass Menschen schlicht überfordert sind, Angst haben und auch nicht wissen was richtig zu tun wäre. Die Hürde ist dabei, aus einer Anzahl von mehreren Personen heraus als erster zu agieren. Diese Schwelle schaffen viele nicht. Denn schließlich könnte ja auch der andere helfen…. Doch genau das ist Zivilcourage! Befinden sich andere Menschen in Rufweite, sollten diese konkret angeprochen werden.
    „Hey, du mit der grünen Jacke! Kannst du mir bitte helfen?“
    „Hallo, sie mit dem Regenschirm, rufen Sie bitte die Polizei!“
    Bei direkter Ansprache wachen die meisten Menschen aus ihrer Starre auf und reagieren dann auch couragiert. Hat einer das Eis gebrochen, ist es für alle anderen meist klar, dass sie jetzt auch aktiv werden müssen.
  3. Der Schlüssel als Waffe
    Einen Schlüsselbund hat meist jeder dabei und meist auch griffbereit in der Jackentasche. Den Ring des Bundes in die Handfläche nehmen, die einzelnen Schlüssel durch die Finger fädeln und eine Faust machen. Schon ist eine einfach Selbstverteidigungswaffe gebaut, wenn nichts mehr zu gehen scheint.

Warum kein Pfefferspray? Die Chance, in der Hektik unkontrolliert rumzusprühen, dabei potentielle Helfer oder gar sich selbst außer Gefecht zu setzen, ist einfach zu hoch. Außerdem ist es wie immer: Wenn frau es braucht, hat sie es nicht dabei, ist es nicht griffbereit oder funktioniert es nicht.

Ist jemand anderes das Opfer, gilt es, selbst couragiert einzugreifen. Wird beispielsweise ein kleiner Junge bedrängt, dann ihn zu sich her holen, raus aus seiner Gefahrensituation. Ist selbst eingreifen zu gefährlich, geht immer noch die Polizei verständigen oder Hilfe aquirieren (wie oben bei Bystander aktivieren erklärt). Auch als unbeteiligte Person laut um Hilfe schreiben, kann Täter dazu bewegen zu fliehen.

Für den Fall der Fälle sollte bekannt sein, wo sich Notrufsäulen und Notrufknöpfe befinden. Darauf einfach einmal bewusst achten und Ausschau halten. Der Notruf 112 kann von jedem Handy gewählt werden, auch wenn kein Guthaben mehr drauf ist, oder gerade kein Netzempfang da ist. Das geht immer!

Was bedeutet Zivilcourage? Zum einen meint es eingreifen, wenn jemand in Not ist, zum anderen selbstbewusst handeln in Gefahrensituationen. Täter suchen sich ihr Opfer meist gezielt aus. Opfer zu werden, kann vermieden werden. Es ist nicht zu vermeiden, den Heimweg auch mal alleine anzutreten. Dafür gibt es einige Dinge, an denen wir uns entlang hangeln können, um uns sicherer zu fühlen.

Ein Tageskurs zum Thema ist immer lohnenswert, zum Beispiel bei Zivilcourage für alle.

 

 

 


2 responses to “Beherzt handeln: Kleiner Zivilcourage-Guide

  • Matthias

    Sehr schöne und aussagekräftige Übersicht.

    Gerade
    – „Auf dem Weg“ Punkt 3 (Ausstrahlung / Körperhaltung) und
    – „Verbale Situationen“ Punkt 2 (Die Stimme)
    halte ich für eine gelungene Prävention sehr wichtig.

    Die Sache mit dem Schlüssel als Verteidigungswaffe sollte aber unbedingt im Vorfeld ausprobiert werden. Hier kann man sich auch böse selbst verletzen, wenn der Griff nicht sicher sitzt.
    Die Probleme mit dem Pfefferspray / CS-Gas sehe ich genau so.
    … Es aber in der Tasche zu haben, kann wiederum Punkt 3 (Ausstrahlung / Körperhaltung) beeinflussen. 😉

    Viele Grüsse,
    Matthias

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